KOLTIVA
Tools für eine nachhaltige Landwirtschaft und transparente Lieferketten
Von einer effizienten, ressourcenschonenden Landwirtschaft profitieren alle Beteiligten: Die Endkundinnen und Endkunden, die Lebensmittelhersteller und vor allem die Produzenten selbst. Das indonesisch-schweizerische Unternehmen Koltiva macht mit seinen Softwarelösungen genau das möglich – und bietet darüber hinaus eine lückenlose Rückverfolgbarkeit von Agrarprodukten.
Gemäss Schätzungen von Greenpeace verursacht die Landwirtschaft weltweit zwischen 17 und 32 Prozent der Treibhausgase. Damit ist sie ein bedeutender Verursacher des Klimawandels – und könnte ebenso ein wichtiger Hebel für den Klimaschutz sein. Gleichzeitig leben laut Weltagrarbericht rund 2 Milliarden Menschen von der Landwirtschaft, also ein Viertel der aktuellen Weltbevölkerung. Schliesslich gibt es einen starken Zusammenhang zwischen modernen Produktionsmethoden und Ernährungssicherheit – für die Landwirte selbst, aber auch für die Bevölkerung. Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern ist eine effiziente Landwirtschaft Schlüsselfaktor für die Entwicklung der dortigen Volkswirtschaften. Aus diesen Erwägungen heraus ist Koltiva entstanden: Das Unternehmen hat sich auf die Entwicklung von Software und Applikationen für die Agrarindustrie spezialisiert. 2013 in Jakarta, Indonesien, gegründet, hat Koltiva seither eine Reihe von Produkten und Dienstleistungen entwickelt, welche die Effizienz und Nachhaltigkeit der Agrarproduktion verbessern. Im August 2017 folgte die Gründung der Koltiva AG in der Schweiz.
Koltiva unterstützt mehr als eine Million Menschen dabei, ihre Lebensbedingungen zu verbessern und ihr Jahreseinkommen zu steigern.
Manfred Borer: der Kopf hinter Koltiva
Der Kopf hinter Koltiva ist der Schweizer Manfred Borer. Der gelernte Zimmermann baut in den 1990er-Jahren erfolgreich einen Holzbaubetrieb in Wiedlisbach im Kanton Bern auf und betreibt Extremsport. Wegen einer chronischen Gelenksentzündung kann er seinen Beruf nicht mehr ausüben und schult zum Wirtschaftsingenieur um. Im Rahmen seines Studiums an der Fachhochschule Nordwestschweiz geht er für Semesterferienjobs im Auftrag der schweizerischen Hilfsorganisation Swisscontact nach Albanien, Benin, Burkina Faso und Mali, um Datenbanksysteme für die Entwicklungszusammenarbeit zu entwerfen. Manfred Borer ist selbst auf einem Bauernhof mit Pferdezucht aufgewachsen und kann sich deshalb gut in die Lebenswelt von Landwirten einfühlen. Das hilft ihm, über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg einen Draht zu seinen Gesprächspartnern zu finden. Auf Basis seiner Interviews entwickelt er ein innovatives Datenmodellierungssystem. Dieses verfeinert er im Rahmen seiner Masterarbeit, für die er Kakobauern befragt, diesmal in Flores im Osten von Indonesien. Es folgt ein Auftrag von Swisscontact, für den indonesischen Markt eine «Enterprise-Resource-Planning-Software» (ERP) zur optimierten Steuerung von Projekten zu programmieren. Anschliessend wird Manfred Borer Projektleiter für Unternehmungsförderung in Aceh, Indonesien, nach wie vor im Auftrag von Swisscontact.
2013 gründet Manfred Borer gemeinsam mit seinen beiden indonesischen Kollegen Ainu Rofiq und Furquonuddin Ramdhani die Firma Koltiva. Die indonesische Firma PT Koltiva entwickelt eine Plattform für die Erfassung von Farmerdaten und Dienstleistungen für die Förderung und Ausbildung von Kakaobauern. Bis 2017 ist das Unternehmen klein und lebt vor allem von staatlichen Fördergeldern sowie von Aufträgen von Swisscontact. 2017 steht Manfred Borer vor der Entscheidung, entweder in ein anderes Land zu gehen – für seinen Auftraggeber Swisscontact darf er nur zehn Jahre in Indonesien arbeiten – oder sich eine andere Tätigkeit in Indonesien zu suchen. Dann entscheiden sich die Protagonisten für eine Internationalisierungsstrategie: Ainu Rofiq, Bernard Chevalier, Domingo Madjura und Manfred Borer gründen in der Schweiz die Koltiva AG. 2021 steigt als erster kommerzieller Investor Meloy ein, ein amerikanisch-singapurischer Fonds. Seither hat Koltiva ein beeindruckendes Wachstum vorgelegt und finanziert sich mittlerweile zu 90 Prozent über Aufträge aus der Privatwirtschaft.
Tragbare Bodenanalyse zur Echtzeit-Überwachung des Bodenzustands.
Eine Plattform für alle landwirtschaftlichen Produkte
Das wohl wichtigste Koltiva-Produkt ist KoltiTrace, eine cloudbasierte Softwarelösung. Diese ermöglicht es Firmen und Landwirten, Daten zu Anbau, Ernte und Vertrieb von Agrarprodukten zu sammeln und zu analysieren. Mit KoltiTrace können die Bäuerinnen und Bauern ausserdem die Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte gewährleisten und nachweisen, dass sie Nachhaltigkeitsstandards einhalten. Darüber hinaus bietet die App den Landwirten Echtzeitinformationen zu den aktuellen Wetterbedingungen und zur Entwicklung ihrer landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Schliesslich können die Farmer über KoltiTrace Schulungen und Support in Anspruch nehmen, um produktiver zu werden und rentabler zu arbeiten. Zunächst wird die App für spezifische Produkte, wie Kakao oder Patchouli, entwickelt. Seit 2021 können bereits über 50 Agrarprodukte – und auch z.B. Meeresalgen oder Rattan – in einer integrierten Plattform rückverfolgt werden.
Die zweite Koltiva-Lösung ist KoltiPay. Diese App bietet den Farmern die Möglichkeit, ihre Produkte bargeldlos zu verkaufen und öffnet den Weg zu weiteren Finanzdienstleistungen. Viele Koltiva-Bäuerinnen und -Bauern besitzen selbst kein Bankkonto und erhalten über KoltiPay zum ersten Mal die Chance, Mikrokredite in Anspruch zu nehmen, Versicherungen abzuschliessen und Geld anzusparen. Zudem gibt es einen digitalen Marktplatz, über den die Landwirte Dünger, Pflanzenschutzmittel, Setzlinge, Werkzeuge und Maschinen einkaufen können. Ausserdem ermöglicht es KoltiPay, Einnahmen und Ausgaben aufzuzeichnen und so eine bessere Übersicht über die Zahlungsströme zu erhalten. Komplettiert wird das Koltiva-Angebot durch das dritte Produkt, KoltiSkills: Koltiva bietet seinen Kunden Dienstleistungen wie Zertifizierungen, Coachings und Geo-Tracking der Plantagen an. Je nach Kundenwunsch erbringt Koltiva diese Dienstleistungen selbst oder schult Mitarbeitende vor Ort.
«Wir verfolgen Ziele der Entwicklungszusammenarbeit mit marktwirtschaftlichen Methoden.»
Bernard Chevalier, Chief of Staff bei der Koltiva AG
1 Million Farmer in 52 Ländern profitiert
Um noch mehr Menschen Zugang zu den Koltiva-Lösungen zu ermöglichen, hat das Unternehmen darüber hinaus Partnerschaften geschlossen, zum Beispiel mit internationalen Organisationen im Bereich Kakao und Kaffee. Darüber hinaus engagiert sich Koltiva in verschiedenen sozialen Projekten, um die Lebensbedingungen der Landwirte und ihrer Gemeinden zu verbessern. Seit 2022 ist Koltiva mit KoltiTrade auch als Händler und Produzent von getrocknetem und fermentiertem Kakao aktiv: Landwirte in abgelegenen Gebieten erhalten Unterstützung, um nachhaltigere Anbaupraktiken einzuführen, und in den Fermentierungszentren werden Arbeitsplätze geschaffen. Mit diesem Programm will Koltiva die Ernährungssicherheit und die wirtschaftliche Entwicklung in geografisch benachteiligten Regionen fördern. Die teilnehmenden Farmer erhalten Premium-Preise und profitieren damit von einer direkten Unterstützung.
Im Jahr 2023 nutzten rund 1 Million Kleinbäuerinnen und -bauern in 52 Ländern die Software von Koltiva, um effizienter und nachhaltiger ihre landwirtschaftlichen Produkte anzubauen und mit mehr Transparenz in globalen Wertschöpfungsketten ihre Nachhaltigkeit zu dokumentieren. Dadurch können Kleinbäuerinnen und -bauern ihr Einkommen spürbar erhöhen, oft sogar vervielfachen. Mit den Koltiva-Tools haben die Landwirte die Chance, sich zu Entrepreneuren zu entwickeln und somit von der kurzfristigen und ständig von Ernteausfällen bedrohten Subsistenzwirtschaft auf ein langfristigeres und weniger anfälliges Geschäftsmodell umzusteigen. Knapp die Hälfte der Koltiva-Nutzer sind Kleinbauern aus Indonesien. Andere wichtige Länder sind Ecuador, Kenia, Indien und die Elfenbeinküste.
Nicht nur die Bauern, sondern auch ihre Kunden profitieren: Knapp 7000 Firmen erreichen dank der Koltiva-Lösungen, dass ihre Wertschöpfungsketten transparenter und resilienter werden. Dies hilft ihnen, den Anforderungen ihrer staatlichen und privaten Stakeholder gerecht zu werden, Effizienzvorteile zu generieren und ihre Marktposition zu verbessern. «Koltiva nutzt marktwirtschaftliche Methoden, um Ziele der Entwicklungszusammenarbeit zu verfolgen. Wir wollen mit unserer Software in möglichst vielen Ländern die Lebensbedingungen von Landwirten und ihren Gemeinden verbessern», erläutert Bernard Chevalier, Chief of Staff bei der Koltiva AG, und ergänzt: «Uns zeichnet aus, dass wir eine End-to-End-Verfolgbarkeit der Wertschöpfungskette ermöglichen.» Kunden wie Givaudan, Mars oder Nestlé schätzen es, dass sie ihre Rohstoffe mit KoltiTrace lückenlos nachverfolgen können – «from seed to table». Im Markt für Naturkautschuk ist Koltiva ebenfalls stark positioniert und arbeitet mit Reifenherstellern wie Continental oder Bridgestone zusammen. Ein anderer grosser Kunde ist Diageo, der Marken wie Baileys, Johnny Walker, Guinness und Smirnoff unter seinem Dach vereint und Zutaten für spezielle Spirituosen über Koltiva nachverfolgt.
Aussendienstmitarbeiter besuchen regelmässig Kaffeeproduzenten, um die Einhaltung des Nachhaltigkeitsstandards zu überprüfen.
Den Nerv der Zeit getroffen
Koltiva ist seit der Neugründung der AG 2017 enorm gewachsen und beschäftigt mittlerweile rund 750 Mitarbeitende, vor allem in Indonesien. In einem aktuellen Video nennt Koltiva-CEO Manfred Borer den Grund für diesen Erfolg – Koltiva legt seinen Fokus immer wieder auf drängende Herausforderungen: «Was sind die Painpoints der Kleinbauern und der Industrie? Aus dieser Frage heraus entstand 2013 unser Informationssystem für das Farm-Management. Dann sahen wir den nächsten Painpoint beim Thema Transparenz und haben auch dafür eine Lösung geschaffen.» So entwickelte sich Koltiva um 2021 von einem Agritech-Unternehmen zu einem Fintech-Unternehmen. Seit kurzem ist es darüber hinaus möglich, den CO2-Ausstoss zu messen und zu optimieren. So hat sich Koltiva zusätzlich zu einem Climatech-Unternehmen entwickelt. «Mit unseren Systemen treffen wir den Nerv der Zeit», urteilt Bernard Chevalier. «Durch die lückenlose Rückverfolgung erfüllen wir ein wichtiges Bedürfnis der Endkunden und bieten zugleich den Herstellern mehr Sicherheit, denn sie reduzieren ihre Reputationsrisiken und können regulatorischen Anforderungen entsprechen, vom KMU bis zum internationalen Grossunternehmen.» Er bezieht sich damit auf weltweite Bestrebungen, mit denen verhindert werden soll, dass weitere Teile der Regenwälder abgeholzt und in landwirtschaftliche Nutzflächen umgewandelt werden.
Manfred Borer (Mitte), CEO Koltiva, zu Besuch bei LASR Project, Aceh.
EU-Verordnung zum Schutz der Regenwälder umsetzen
Beim Schutz der Regenwälder handelt die Europäische Union besonders konsequent. Im Sommer 2023 ist eine Verordnung über entwaldungsfreie Produkte in Kraft getreten. Diese besagt, dass spätestens ab 1. Januar 2025 alle Marktteilnehmer und Händler in der EU nachweisen müssen, dass ihre Produkte im Einklang mit allen im Erzeugerland geltenden Rechtsvorschriften angebaut wurden, und zwar auf Flächen, die nicht nach dem 31. Dezember 2020 entwaldet wurden. Das bedeutet, dass ab sofort Regenwaldrodungen für die Landwirtschaft ökonomisch weniger interessant werden, weil die so entstandenen Produkte zumindest in der EU nicht mehr verkäuflich sind. Die neuen Vorschriften gelten aktuell für die Ein- und Ausfuhr folgender Produkte in die EU: Palmöl, Rindfleisch, Soja, Kaffee, Kakao, Holz und Kautschuk sowie daraus hergestellte Erzeugnisse. Um dieser Vorschrift zu entsprechen, müssen die Unternehmen genaue geografische Informationen über die landwirtschaftlichen Nutzflächen erheben. Genau diese Informationen lassen sich mit KoltiTrace verlässlich bereitstellen. Auch einen anderen Nachhaltigkeitsaspekt kann Koltiva neuerdings präzise abbilden: die Treibhausgas-Emissionen in der Lieferkette. So wird es den Kunden ermöglicht, ihren CO2-Fussabdruck zu messen und entsprechend ihre Nachhaltigkeitsbestrebungen zu dokumentieren.
Koltiva gibt überzeugende Antworten auf aktuelle Herausforderungen und leistet ausserdem einen wertvollen Beitrag zum Klimaschutz. Dies überzeugt auch die Kapitalgeber: Wie die indonesische Zeitung «Bisnis Tekno» in der Ausgabe vom 19. September 2023 berichtet, wird Koltiva sein Kapital erhöhen und erhält dazu eine Finanzspritze von verschiedenen Investoren unter der Leitung der Risikokapital-Firma AC Ventures. Manfred Borer sagt gegenüber den Medien, Koltiva werde das Kapital nutzen, um mit der Weiterentwicklung der eigenen Software neue Durchbrüche zu erzielen. Weiter kommuniziert er, das Unternehmen ziele darauf ab, «ein Ökosystem zu schaffen, das globalen Marken Vorteile bietet und dazu beiträgt, die Lebensbedingungen und das Wohlergehen auf der grundlegendsten Ebene des Lieferkettenprozesses zu verbessern». Das Magazin «Marketing.co.id» kommentiert: «Koltiva ist ein stolzes Beispiel für indonesische Innovation, die zur Verbesserung der globalen Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft beiträgt.» Es zitiert Manfred Borer darüber hinaus mit den Worten: «Wir stellen uns eine Welt vor, in der ein transparenter und nachhaltiger Handel der Standard ist.» ‹
Autor: Bernhard Ruetz
Kollaborativ.Transformativ.Nachhaltig.
Zehn Schweizer Unternehmen und ihre Geschichten,
herausgegeben von Bernhard Ruetz und Thomas Streiff,
Verlag Ars Biographica, Humlikon 2023/24.
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