GEBERIT
«Unsere nachhaltige Strategie hat uns erfolgreich und zukunftsfähig gemacht.»
Nachhaltigkeit als Chance: Die weltweit tätige Geberit Gruppe ist europäische Marktführerin für Sanitärprodukte. Sie richtet ihre Strategie seit mehr als 30 Jahren konsequent nach Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit aus – und zwar entlang des gesamten Lebenszyklus eines Produkts. Dieses Engagement ist ein wichtiger Grund für den langfristigen Erfolg des Unternehmens.
Rund 12 000 Mitarbeitende, 3,4 Mrd. Franken Jahresumsatz, seit 2012 im Swiss Market Index (SMI) – die weltweit tätige Geberit AG weist beeindruckende Kennzahlen auf. Seit dem Börsengang im Jahr 1999 hat sich der Kurs vervielfacht. Doch Geberit hat keinen Suchalgorithmus entwickelt, produziert keine Halbleiter oder Krebsheilmittel – sondern Toiletten. Genauer gesagt stellt Geberit ein ganzes Universum von Produkten her, die rund um die Toilette notwendig sind: Spül- und Installationssysteme, Rohrleitungssysteme, Sanitärkeramik und Dusch-WCs. In der Welt der Sanitärprodukte ist das Unternehmen europäischer Marktführer. Ein wichtiger Grund für den Erfolg ist, dass es seine Strategie seit mehr als 30 Jahren konsequent auf Nachhaltigkeit ausrichtet.
«Wir haben uns in den 1990er-Jahren stark internationalisiert», kommentiert Christian Buhl, Vorsitzender der Konzernleitung bei Geberit. «Das war damals ein wichtiger Grund für die Neuausrichtung. In der Schweiz haben wir keinen unmittelbaren Wassermangel, in anderen Ländern schon. So stand das Wassersparen am Anfang unseres Nachhaltigkeitsengagements.» Christian Buhl hat an der ETH Physik studiert und anschliessend an der Universität St. Gallen (HSG) in Finanzmarktforschung doktoriert. Nach Stationen in der Wissenschaft und bei McKinsey & Company kommt er 2009 als Leiter der strategischen Planung zu Geberit und wird 2015 zum CEO ernannt. Das Sanitärunternehmen leitet er voller Überzeugung: «Kaum ein Produkt ist so wichtig für Wohlbefinden, Hygiene und Gesundheit. Auf was könnte man besser zwei Tage lang verzichten – das Smartphone oder eine funktionsfähige Toilette?», kommentiert Christian Buhl mit einem Augenzwinkern.
Wasser im Zentrum
1874 als Spenglerei in Rapperswil im Kanton St. Gallen gegründet, beschäftigt sich Geberit schon seit ihren Anfängen mit dem Thema Wasser. Die Gründerfamilie Gebert erfindet 1905 den ersten modernen Spülkasten für Toiletten, einen mit Blei ausgelegten Holzkasten, und bringt ihn dann auf den Markt. «Auf dieser Basis hat sich die gesamte Produktpalette entwickelt», kommentiert Christian Buhl. In den 1970er- und 1980er-Jahren wird der Aspekt des Wassersparens immer wichtiger. Die Geschäftsleitung unter CEO Günter F. Kelm trifft die wegweisende Entscheidung, das Thema Umweltschutz konsequent in der Strategie zu verankern. Ein konkretes Beispiel dafür ist ein NZZ-Stelleninserat aus dieser Zeit für einen gruppenweiten Umweltbeauftragten: «Als umweltbewusstes, international tätiges Unternehmen der Sanitärbranche setzt Geberit mit der Gleichsetzung von Ökonomie und Ökologie ein deutliches Zeichen auf dem Gebiet des Entsorgungs-Managements. Dabei geht es primär um die Suche nach ökologisch wünschbaren und wirtschaftlich vertretbaren Lösungen.» Das Inserat ist mehr als 30 Jahre alt, doch es könnte aktueller nicht sein.
Um 1990 ist Geberit ein Familienbetrieb mit 2500 Mitarbeitenden. Nach dem Rückzug der Gründerfamilie Gebert aus der operativen Geschäftsleitung organisiert sich Geberit in den 1990er-Jahren neu und bündelt die Geschäftstätigkeiten in verschiedenen Gesellschaften und an mehreren Standorten. Forschung und Entwicklung werden am Hauptsitz in Rapperswil-Jona zusammengefasst. Gleichzeitig reagiert das Unternehmen auf das gestiegene Umweltbewusstsein in den wichtigen DACH-Märkten Deutschland, Österreich und Schweiz: Geberit setzt sich zum Ziel, die Umweltbelastung nicht nur in der Produktion, sondern auch während der Nutzungsphase und bei der Entsorgung der Produkte zu vermindern. Alle Prozesse werden auf diese Ziele ausgerichtet.
Ökobilanzen als Basis der Strategie
1990 erhält eine Arbeitsgruppe unter Leitung des späteren Geschäftsleitungsmitglieds und Leiter «Sanitary Systems» Thomas Raible den Auftrag, eine Entsorgungs- und Recycling-Strategie für die kommenden zehn Jahre zu entwickeln. Auf dieser Basis verabschiedet die Geberit-Geschäftsleitung 1991 mit «GEBEM» ein dezidiertes Geberit-Entsorgungsmanagement: Fortan trifft die Geschäftsleitung ihre strategischen Entscheidungen auch auf Basis von Ökobilanzen, die an der Hochschule St. Gallen entwickelt worden sind. Ausserdem wird diese Systematik genutzt, um den Umweltfussabdruck der Produkte über sogenannte Umweltbelastungspunkte zu messen. Ein Anspruch ist es, dass neue Produkte nach der Rücknahme einfach wiederverwertbar sein müssen. Deshalb werden seither so wenig unterschiedliche Materialien wie möglich verwendet und diese gekennzeichnet. Auch die Verpackungen werden auf ein Minimum reduziert und sind voll rezyklierbar.
Der diplomierte ETH-Umweltingenieur Roland Högger hat die Nachhaltigkeitsstrategie von seinem Vorgänger übernommen und schrittweise weiterentwickelt – der heutige Leiter Nachhaltigkeit und Prozessmanagement arbeitet bereits seit 2000 für das Unternehmen. «Kurz bevor ich bei Geberit angefangen habe, war es noch ein Familienunternehmen, später wurde es börsenkotiert», berichtet Roland Högger. «Unabhängig davon wurde das Thema Nachhaltigkeit immer stark durch die Geschäftsleitung getrieben – es gehört einfach zu unserer DNA.» Für ihn ist diese Konstanz über mehr als 30 Jahre aussergewöhnlich und wegweisend: «Der Antrieb kam und kommt von innen heraus, nicht auf äusseren Druck.»
Christian Buhl, Vorsitzender der Konzernleitung (CEO) von Geberit.
Ökologische Verantwortung und ökonomischer Erfolg
Im Rahmen des Börsengangs der Geberit Gruppe führt das auf Nachhaltigkeit spezialisierte Beratungsunternehmen ERM London 1997 eine Due Diligence durch. Diese gruppenweite Umweltüberprüfung bescheinigt Geberit einen Platz unter den besten 5 Prozent von 300 geprüften Unternehmen. 2004 erscheint der erste Nachhaltigkeitsbericht von Geberit. Günter F. Kelm nimmt als damaliger Vorsitzender der Konzernleitung im Editorial Stellung: «Eine wesentliche Aufgabe dieses Berichtes ist es, die Transparenz zu erhöhen und der interessierten Öffentlichkeit und unseren Aktionären aufzuzeigen, wie es Geberit gelingt, überdurchschnittlichen wirtschaftlichen Erfolg mit gelebter ökologischer und sozialer Verantwortung zu verbinden.»
Tatsächlich können sich bereits beim ersten Nachhaltigkeitsbericht die Ergebnisse sehen lassen: Zwischen 1991 und 2003 ist die Ökoeffizienz der drei grössten Standorte Pfullendorf (Deutschland), Rapperswil-Jona (Schweiz) und Pottenbrunn (Österreich) massiv verbessert worden, ihre Umweltbelastung im Verhältnis zur Wertschöpfung ist um knapp 50 Prozent gesunken. 77 Prozent der Abfälle werden recycelt. Bei Geberit beginnt die Gestaltung umweltfreundlicher Produkte und Prozesse schon in der Forschung und Entwicklung. Von Anfang an fliessen ökologische Überlegungen mit ein, so dass Produkte entstehen, die eine lange Lebensdauer aufweisen, aus unproblematischen Materialien bestehen, gut wiederverwertbar sind und die während der Nutzung die Umwelt möglichst wenig belasten. Besonders wichtig bleibt das Wassersparen. Das gilt für WC-Spülungen und Urinale genauso wie für Waschtischarmaturen.
Einen anderen Aspekt der Nachhaltigkeit deckt beispielsweise das Abwassersystem Silent/db20 für Mehrfamilienhäuser ab: Es gewährt dank mineralverstärktem Kunststoff und Formstücken mit Rippenprofil einen durchgängigen Schallschutz. Auch in der Logistik gibt es viel Potenzial, um Ressourcen einzusparen: Vom Werk Rapperswil-Jona aus werden im Jahr 2003 95 Prozent der Lieferungen für Italien per Bahn geschickt. Zudem arbeitet Geberit um die Jahrtausendwende daran, die Reklamationsquote wegen Falschlieferungen zu senken, mit Erfolg: In Pfullendorf etwa fällt diese Quote von knapp 0,3 Prozent im Jahr 1996 auf weniger als 0,05 Prozent im Jahr 2003. Gleichzeitig werden die Lieferanten stärker in die Nachhaltigkeitsbemühungen eingebunden: Über 80 Prozent des Gesamtbeschaffungsvolumens werden von Lieferanten aus einem Umkreis von 500 km angeliefert. Wenn möglich und sinnvoll, werden Mehrwegverpackungen eingesetzt.
«Ich will keine Probleme auf die nächste Generation abschieben, sondern die Herausforderungen heute angehen.»
Christian Buhl, CEO von Geberit.
Jedes Jahr Wasser im Umfang des Zürichsees eingespart
Der Nachhaltigkeitsbericht von Geberit aus dem Jahr 2022 umfasst 94 Seiten. Er zeigt auf, dass das Unternehmen sich beim Thema Nachhaltigkeit nochmals deutlich weiterentwickelt hat: Sämtliche Produktionsstandorte und die zentrale Logistik arbeiten nach ISO 9001, ISO 14001 und ISO 45001. Einige Werke richten sich zudem auf den Standard ISO 50001 für Energiemanagement aus. Kunststoffabfälle werden praktisch zu 100 Prozent intern recycelt. Das Unternehmen reduziert konsequent seine CO2-Emissionen: Seit 2015 haben sich diese im Verhältnis zum währungsbereinigten Nettoumsatz um 56,4 Prozent verringert. Damit hat das Unternehmen die selbstgesetzten Ziele klar übertroffen. Wie ernst es Geberit mit der CO2-Reduktion ist, zeigt sich daran, dass diese seit dem Geschäftsjahr 2022 für die Mitarbeitenden in der Schweiz sowie 220 Mitglieder des Gruppenkaders bonusrelevant ist. Ausserdem erhöht Geberit ständig den Anteil erneuerbarer Energieträger. Dank wassersparenden Spülsystemen werden allein im Jahr 2022 rund 3,8 Mrd. m3 Wasser eingespart, annähernd so viel, wie der Zürichsee an Wasser fasst. Seit 2007 wendet Geberit für die Entwicklung der eigenen Produkte konsequent das Ecodesign-Prinzip an. Von der Auswahl der Rohstoffe bis zur Entsorgung werden sämtliche Umweltaspekte geprüft: Jedes neue Produkt soll ökologisch besser sein als sein Vorgänger. Mittlerweile wurden schon über 180 Ecodesign-Workshops in der Produktentwicklung durchgeführt.
Das breite Nachhaltigkeitsverständnis von Geberit umfasst neben der Ökologie auch Aspekte des Sozialen und der Governance, wie Roland Högger ausführt. Das zeigt sich im Verhaltenskodex des Unternehmens: Im Jahr 2022 haben diesen 3296 Lieferanten unterzeichnet. Sie verpflichten sich damit, die von Geberit gesetzten hohen Standards für eine umwelt- und sozialverträgliche Produktion einzuhalten. Dies entspricht über 90 Prozent des gesamten Einkaufswerts. Mit Lieferantenaudits durch Geberit und externe Partner wird die Einhaltung des Lieferantenkodex regelmässig überprüft. Geberit versteht sich auch als führende Partnerin für die Planung und Umsetzung erstklassiger Sanitärlösungen für nachhaltiges Bauen. Das Unternehmen bietet eine breite Produktpalette für Gebäude an, die gemäss höchsten Nachhaltigkeitsstandards wie Minergie, DGNB, BREEAM oder LEED erstellt werden. Überdies hat die Geberit Gruppe für ihr umfassendes, systematisches und langfristiges Nachhaltigkeitsmanagement zum dritten Mal in Folge die höchste Auszeichnung der Plattform EcoVadis erhalten. Diese ist einer der weltweit grössten Anbieter für Nachhaltigkeitsratings. Mit dem Platin-Status platziert sich Geberit unter den Top-1-Prozent der von EcoVadis gelisteten Unternehmen.
Roland Högger, Leiter Nachhaltigkeit und Prozessmanagement bei Geberit.
Gutes tun – und endlich mehr darüber sprechen
«Wir sind der Nachhaltigkeitspionier der Sanitärbranche, haben in der Öffentlichkeit aber lange Zeit zu wenig darüber geredet», lautet das Urteil von Christian Buhl. «Bei uns ist die Nachhaltigkeit bereits seit zwei Mitarbeitergenerationen fest verankert. Umweltbewusstes Handeln ist für uns so selbstverständlich, dass wir in der Vergangenheit manchmal fast vergessen haben, unsere Erfolge zu kommunizieren.» Das sei auch der Unternehmenskultur geschuldet – «wir sind keine Zeitgeist-Firma, sondern denken in längeren Dimensionen. Schliesslich müssen unsere Produkte ebenfalls langlebig sein. Den WC-Spülkasten will man nicht alle Jahre wechseln, der ist fast für die Ewigkeit.» Die Firmenkunden von Geberit – in der Schweiz zum Beispiel 6000 Installateure – denken ähnlich: Sie wollen hochwertige, verlässliche Produkte, die möglichst selten Reklamationen verursachen und für die dauerhaft Ersatzteile erhältlich sind. «Alle reden von Qualität, für uns ist sie überlebenswichtig», kommentiert Christian Buhl.
Mit seinem naturwissenschaftlichen Hintergrund legt der Geberit-CEO Wert darauf, bei der Nachhaltigkeitsstrategie konkrete und zeitnah erreichbare Ziele für sein Unternehmen zu definieren: «In 30 Jahren sind wir als Manager alle nicht mehr am Ruder, ich will keine Probleme auf die nächste Generation abschieben, sondern die Herausforderungen heute angehen.» Mittlerweile seien Nachhaltigkeits-Standards vielfach unternehmerische Pflicht, gibt er zu bedenken. «Geberit praktiziert von jeher eine echte Nachhaltigkeit, die vom gesamten Unternehmen getragen wird. Das ist die Kür. So bleiben wir auch in Zukunft wettbewerbsfähig und sind auf Herausforderungen vorbereitet, etwa bei einer Energiekrise.» Für Christian Buhl hat Nachhaltigkeit zudem viel mit dem Personalmanagement zu tun: Während der Corona-Pandemie habe Geberit keine Arbeitsplätze abgebaut, sondern die Zeit während des Geschäftseinbruchs in der ersten Lockdownwelle genutzt, um «Housekeeping» zu betreiben und die Abläufe weiter zu optimieren. «Einige Firmen haben Mitarbeitende entlassen, obwohl sie wussten, dass das Geschäft zurückkommt. Wir denken langfristiger.» Dieses Verantwortungsbewusstsein belohnen die Geberit-Mitarbeitenden mit einer hohen Loyalität: Gemäss einer Mitarbeitendenumfrage planen 85 Prozent, auch in fünf Jahren noch für das Unternehmen tätig zu sein. Roland Högger bringt es auf den Punkt: «Stabilität, Vertrauen, Zusammenarbeit, das ist für mich die Essenz von Geberit.»
Autor: Bernhard Ruetz
Kollaborativ.Transformativ.Nachhaltig.
Zehn Schweizer Unternehmen und ihre Geschichten,
herausgegeben von Bernhard Ruetz und Thomas Streiff,
Verlag Ars Biographica, Humlikon 2023/24.
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