SOUTH POLE
Klimaschutz mit marktwirtschaftlichen Methoden
South Pole engagiert sich für den Klimaschutz weltweit. Ursprünglich als Entwickler von Klimaschutz-Projekten gegründet, ist das Unternehmen heute auch ein führender Klima-Strategieberater und -Finanzierer sowie ein Start-up-Inkubator im Bereich der nachhaltigen Entwicklung.
Jakarta, im Sommer 1993: Ein Mann ohne Beine bettelt den 16-jährigen Renat Heuberger vor einem Einkaufsgeschäft an, zerlumpt und hungrig, aber mit einem fröhlichen Lachen im Gesicht. Diesen Anblick wird der Teenager nicht so schnell vergessen. Der Bettler ist für den Gründer und CEO von South Pole ein Sinnbild der erschütternden sozialen Gegensätze in der indonesischen Hauptstadt. Der einjährige Aufenthalt an der Senior High School in Jakarta öffnet Renat Heuberger die Augen, wie sehr er und seine Mitschüler an der Zürcher Kantonsschule Freudenberg in einer Art Blase leben, wohlversorgt und saturiert. In den frühen 1990er- Jahren gibt es noch keine Handys und kein Internet. Mit zwei Reisehandbüchern in der Tasche hat sich Renat Heuberger auf ein abenteuerliches AFS-Austauschjahr nach Indonesien aufgemacht. Als er zurückkehrt, ist er nicht mehr derselbe wie zuvor, sondern hat sich vorgenommen, gegen soziale Missstände zu kämpfen. Seine berufliche Zukunft sieht er in jenen Jahren als aufklärender Journalist oder in der Entwicklungszusammenarbeit. Sein Wunsch, etwas zu bewegen und zum Positiven zu verändern, wird sein weiteres Leben stark beeinflussen.
UNERKANNTE KLIMAPROBLEMATIK
Drei Jahre später, 1996, entscheidet sich Renat Heuberger für ein Studium der Umweltwissenschaften an der ETH Zürich, vor allem weil ihn die Zusammenhänge zwischen Ökologie und Ökonomie interessieren. Die Abholzung des Regenwaldes, die Zerstörung der Ozonschicht oder der Kampf um Rohstoffe im Irakkrieg seien die bewegenden Themen seiner Jugendzeit gewesen. «Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, dass es an der ETH vor rund 20 Jahren noch keinen Lehrstuhl zur Klimafrage gab», erzählt Heuberger. «Nur sehr wenige Professoren haben auf diese Problematik aufmerksam gemacht. Damals waren sich Forschende auch über die Dimensionen und Auswirkungen des Klimawandels noch uneins.» Ebenfalls muss erst ein öffentliches Bewusstsein dafür entstehen, dass es Möglichkeiten gibt, den Klimawandel zu bekämpfen. Immerhin tut sich auf der grossen Weltbühne in diesen Jahren einiges, das Kyoto-Protokoll von 1997 stellt einen historischen Meilenstein im globalen Klimaschutz dar: Erstmals einigen sich die Nationen auf verbindliche Reduktionsziele für den CO2-Ausstoss, mit grossen Freiheiten in der Umsetzung. Leider sei das Abkommen in der Zwischenzeit verwässert und durch politische Blockaden relativiert worden, bedauert Renat Heuberger. Im Gegensatz dazu habe das völkerrechtliche Abkommen von 1987 zum Schutz der Ozonschicht (Montrealer Protokoll) bewiesen, was ein entschlossenes internationales Vorgehen gegen höchst umweltschädigende Stoffe bewirken könne.
Renat Heuberger, CEO und Mitgründer von South Pole.
EIN FLUG NACH COSTA RICA: ETHISCH VERTRETBAR?
An der ETH bildet sich in den späten 1990er-Jahren eine forschungslastige, hochschulübergreifende «Alliance for Global Sustainability». Als Renat Heuberger und einige seiner Kommilitonen 2002 die Chance erhalten, an einer Konferenz dieser Organisation in Costa Rica teilzunehmen, plagt sie allerdings das schlechte Gewissen. Gemeinsam sitzen sie in der Mensa zusammen und diskutieren, ob es ethisch und ökologisch vertretbar sei, ohne spezifisches Forschungsprojekt die weite Reise anzutreten. Im Gespräch entsteht die Idee, die CO2-Emmissionen des Flugs zu kompensieren. Der Funke springt über und kurz darauf entwickelt das Studententeam ein innovatives Projekt: Es berechnet den ungefähren CO2-Emissionswert jedes Konferenzteilnehmers und präsentiert eine Lösung, wie sich dieser mit der Investition in eine Solaranlage auf einem Schulgebäude in Costa Rica neutralisieren liesse. «Am Ende der Konferenz haben wir 20 000 Dollar eingesammelt und gleichzeitig den Grundstein für ein Geschäftsmodell gelegt.»
Heute gibt es an der ETH eine lebhafte Start-up-Kultur, doch zur Hochschulzeit von Renat Heuberger existiert diese noch kaum. Man habe sein Studium absolvieren können, ohne eine einzige Inspiration für eine wirtschaftliche Anwendung des Gelernten zu erhalten, kommentiert er. Gleichwohl gründet er 2002, noch während seines Studiums, mit einigen Kommilitonen den Verein «myclimate» als ETH-Spin-off. Das Ziel ist es, eine freiwillige CO2-Kompensation für Flugreisende anzubieten und das Geld in nachhaltige Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern zu investieren. Die Reduktionsziele des Kyoto-Protokolls sind die Basis, damit es überhaupt eine ausreichende Nachfrage für solche Kompensationsmodelle gibt. 2005 formiert sich der Verein zur Stiftung «myclimate – The Climate Protection Partnership», mit Renat Heuberger als CEO.
Dieser wird von der Nachfrage geradezu überrollt: «Wir haben so viele Anfragen für CO2-Kompensationen erhalten, dass wir als Stiftung an unsere Grenzen stiessen. Wir mussten wachsen und in neue Projekte, Standorte und in Personal investieren, dafür benötigten wir mehr Kapital und eine flexiblere Unternehmensstruktur », berichtet Renat Heuberger. 2006 verlässt er deshalb myclimate und gründet mit vier Geschäftspartnern die Firma «South Pole Carbon Asset Management AG», heute unter dem Markennamen South Pole bekannt, mit Sitz im Technopark Zürich. Der Name ist Programm: Die bedrohte Antarktis steht als Symbol für die Folgen des Klimawandels, gleichzeitig soll der Schwerpunkt der Projekte in der südlichen Hemisphäre liegen, also in Asien, Afrika und Südamerika. Mit South Pole will Renat Heuberger noch stärker gegen den Klimawandel angehen und so das Ziel des Pariser Klimaabkommens unterstützen, die Erderwärmung durch den menschenverursachten Klimawandel bei maximal 2 Grad Celsius zu begrenzen. Renat Heuberger ist überzeugt: «Der Verlust an Biodiversität ist eine Katastrophe und wird uns langfristig teuer zu stehen kommen.» Gleichwohl sei es der falsche Weg, den Klimaschutz einzig über staatliche Intervention zu steuern. Für Renat Heuberger sollen Veränderungen primär über Marktmechanismen motiviert und gesteuert werden, damit sie wirklich nachhaltig sind. «Unser Temperaturziel erreichen wir nur mit der Wirtschaft, nicht gegen sie. Wir müssen mit Marktprinzipien arbeiten, nicht mit Verboten.» Die Aufgabe der Politik sei es, «Rahmenbedingungen zu schaffen, die für alle gleich, fair und transparent sind». Dabei aber sollte die Schweiz als innovatives Land mutig vorangehen. Kritiker argumentierten häufig, dass Massnahmen gegen den Klimawandel massive Einbussen an Wachstum und Wohlstand zur Folge hätten, ärgert sich Renat Heuberger. Er hingegen ist der Meinung: «Wenn es effektive Anreize für den Klimaschutz gibt, dann profitiert auch die Wirtschaft, weil nachhaltige Technologien gefördert werden und sich neue Geschäftsfelder eröffnen, mit positiven Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt. Alle drei Bereiche wachsen also gemeinsam und beeinflussen sich zum gegenseitigen Vorteil.»
«Unser Temperaturziel erreichen wir nur mit der Wirtschaft, nicht gegen sie. Wir müssen mit Marktprinzipien arbeiten, nicht mit Verboten.»
Renat Heuberger, CEO
MEHR ALS ZERTIFIKATE
In den Anfangsjahren positioniert sich South Sole als Projektentwickler in Entwicklungsländern, um Zertifikate im Rahmen des Kyoto-Protokolls zu generieren. Regierungen und Grossindustrie können ihren CO2-Ausstoss reduzieren, indem sie CO2-vermindernde Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern finanzieren. Mit diesem Engagement kompensieren sie den eigenen CO2-Ausstoss, das wird auf einem Zertifikat dokumentiert. Wie Renat Heuberger betont, müssen die Projekte bei South Pole einen doppelten Effekt haben, also nicht nur CO2 reduzieren, sondern auch der lokalen Bevölkerung einen wirtschaftlichen Vorteil bringen. «Diese konsequente Nachhaltigkeitsstrategie hat uns nach Ausbruch der Schuldenkrise 2010 vor dem Konkurs bewahrt, als der Zertifikatemarkt konjunkturbedingt massiv abnahm und viele unserer Mitbewerber von der Bildfläche verschwanden», so Renat Heuberger. Weil seither eine multilaterale Einigung über verbindliche Klimaziele blockiert ist, vollzieht Renat Heuberger, seit 2009 CEO von South Pole, einen Strategiewechsel. Er nutzt die Expertise des Unternehmens bei der Entwicklung nachhaltiger Projekte und baut das Beratungsgeschäft für Firmenkunden aus.
Immer mehr Unternehmen engagieren sich auf freiwilliger Basis für den Klimaschutz und suchen nach einer glaubwürdigen und effektiven Nachhaltigkeitsstrategie. Unter der Leitung von Renat Heuberger wird South Pole zu einem versierten Projektentwickler und zum Berater für Unternehmen sowohl bei der Emissions-Kompensation als auch bei nachhaltigen Massnahmen zum Klimaschutz. «Wir haben uns zum umfassenden Anbieter von Klima-Strategien entwickelt», kommentiert Renat Heuberger. Mit den Klimaschutz-Projekten generiert das Unternehmen etwa die Hälfte seines Umsatzes. Wichtig dabei ist die Tatsache, dass ein CO2-Zertifikat kein Selbstzweck ist, sondern ein Instrument, um Kosten und Nutzen, also CO2-Emissionen und CO2-Einsparungen, zu internalisieren, ihnen einen Preis zu geben. South Pole möchte dazu beitragen, dass solche Kosten nicht mehr auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, «ein systemimmanenter Fehler in unserem Wirtschaftssystem». Gleichzeitig sind Zertifikate wichtig, um positive Klima-Leistungen zu messen und zu honorieren. «Ein Bauer in Afrika wird so zum Partner auf Augenhöhe», führt Renat Heuberger an. «Wenn er seine Böden nachhaltig bewirtschaftet, die lokalen Wälder aufforstet und die Biodiversität schützt, leistet er einen konkreten Beitrag zum Klimaschutz. Er reduziert CO2. Statt einer Spende geben wir ihm den Lohn für seine Leistung – dafür bekommen wir ein CO2-Zertifikat.»
NICHT MEHR TEIL DES PROBLEMS, SONDERN TEIL DER LÖSUNG
Seit seinen Anfängen ist South Pole profitabel und investiert praktisch den gesamten Profit in weiteres Wachstum. Heute arbeiten 300 Personen in mehr als 30 Ländern für das Unternehmen. Denn, so Heuberger: «Immer mehr Firmen haben ein intrinsisches Interesse, sich beim Klimawandel zu engagieren. Sie wollen nicht mehr Teil des Problems sein, sondern Teil der Lösung. Wer das ernsthaft angeht und nicht nur als PR-Massnahme versteht, kann immense Chancen für das Geschäft, für die Anteilseigner, für die Mitarbeiter und für die Kunden generieren.» Innovative Firmen, so beobachtet er, präsentieren heute ernstgemeinte und professionelle Nachhaltigkeitsstrategien. Ihre CEOs und Führungskräfte vertreten solche Prinzipien aus Überzeugung: «Schliesslich haben nicht wenige von ihnen Kinder, die an Klimadebatten oder Klimademonstrationen teilnehmen», beobachtet Heuberger. Konkret besteht das Geschäftsmodell von South Pole darin, Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie zu beraten, ihnen Möglichkeiten aufzuzeigen, wo sie CO2 sparen oder für unvermeidbare Emissionen kompensieren können. Aktuelle Projekte sind beispielsweise ein modernes Abwasserreinigungssystem in Thailand, welches die CO2-Emmissionen massiv senkt, die Bevölkerung besser vor gesundheitsschädigenden Substanzen schützt und die Bauern mit gereinigtem Wasser für die Bewässerung von Plantagen versorgt. Ein anderes von South Pole lanciertes Projekt ist die «Isangi Forest Conservation». Dabei geht es um den Schutz des Regenwaldes in der Demokratischen Republik Kongo. Im Norden des zentralafrikanischen Landes, im Kongobecken, befindet sich ein tropischer Regenwald mit einer der grössten Biodiversitäten weltweit. Dort leben unter anderem 14 Primatenarten, wachsen 300 verschiedene Baumarten und befinden sich 11 Prozent aller Vogelarten weltweit. South Pole schützt mehr als 187 000 Hektar Wald, indem die Menschen vor Ort unterstützt werden, nachhaltige Wirtschaftsformen aufzubauen, beispielsweise mit der Fischzucht von Tilapia. So lassen sich 324 000 Tonnen CO2 jährlich vermeiden. Mit allen Projekten zusammen möchte South Pole bis 2025 eine Gigatonne CO2 einsparen.
Der Regenwald in Isangi (Demokratische Republik Kongo) beherbergt eine der grössten Artenvielfalten weltweit.
ENERGIEWENDE ALS CHANCE FÜR DIE SCHWEIZ
Doch auf diesen Erfolgen will sich South Pole nicht ausruhen, sondern wendet sich aktuell verstärkt an Privatpersonen, die einen Beitrag zum Klimaschutz leisten wollen. Unter dem Motto «#LetsActNow» können sie sich für Klimaprojekte engagieren. Eines dieser Projekte versorgt Massai-Gemeinschaften in Kenia mit effizienten Kochherden und schützt so nicht nur die Umwelt, sondern auch die Gesundheit der Menschen vor Ort. Für Renat Heuberger ist die Frage nicht, ob das fossile Zeitalter andauern wird, sondern nur, wie lange noch: «Im Jahr 2015 gab es bereits die Trendwende. Seither produzieren mehr als 50 Prozent der weltweit neu installierten Kraftwerke erneuerbare Energien. Das ist ein ermutigendes Signal.» In der Schweiz sowie den nordischen Staaten Europas, aber interessanterweise auch Teilen der USA, sei das Bewusstsein für eine aktive Klimapolitik am stärksten ausgeprägt, konstatiert Heuberger. Das sind aktuell auch die Zielmärkte von South Pole. In den USA seien die Fronten zwischen Befürwortern und Kritikern des Klimaschutzes verhärtet, gleichwohl setzt South Pole mit einem Büro in New York auf das grosse Potenzial dieses Marktes. In der Schweiz sieht Heuberger gute Möglichkeiten, die Energiewende unternehmerisch nutzbar zu machen: «Unser Land ist bekannt für Hochpräzisionstechnologie, die zwar kostspielig ist, sich aber immer mehr lohnt, weil sie Effizienzsteigerungen ermöglicht.» Diese Stärke kann die Schweiz ebenfalls für andere Themen ausspielen wie erneuerbare Energien, Recycling oder Gebäude-Technologie. Wer einen besseren Klimaschutz nicht als Einschränkung und Gefahr ansieht, sondern als Chance versteht, kann daraus eine neue unternehmerische Dynamik generieren. South Pole selbst ist ein eindrückliches Beispiel dafür.
Bernhard Ruetz: Innovativ. Nachhaltig. Erfolgreich.
Zehn Schweizer Unternehmen und ihre Geschichten
Verlag Ars Biographica, Humlikon 2019.
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