FELCHLIN

Qualitätsschokolade mit Verantwortung

Felchlin produziert hochwertige Couverture für Bäckereien und Konditoreien mit nachhaltig angebauten Kakaobohnen. Auf Basis einer langfristigen, wertebasierten Kultur entsteht Raum für Ideen und Innovation.

Es ist wahrhaft eine ungewöhnliche Stellenanzeige: In der Regionalzeitung «Bote der Urschweiz» sucht Max Felchlin am 24. April 1991 seinen Nachfolger für die Firmenleitung. Entgegen aller Gepflogenheiten bei Stellenausschreibungen enthält das ganzseitige Inserat nur ein tiefsinnig verfasstes Firmenleitbild der Max Felchlin AG in Form eines Briefes. Dieses beginnt mit einem Goethe-Zitat und dem Satz: «Durch Dienste wollen wir Geld verdienen – frei, ehrlich, heiter und optimistisch.» Gleichsam wird nebenbei vermerkt: «Wir suchen einen Menschen (Frau oder Mann) zur Nachfolge des Inhabers Max Felchlin (68). Er hat dieses Leitbild geschrieben und versucht danach zu leben. Zeitbudget ca. 2 Jahre, melden Sie sich bitte, heute noch ohne Unterlagen.»

TREFFEN IM WOHNZIMMER
Christian Aschwanden fühlt sich von dieser speziellen Stellenausschreibung angesprochen und meldet sich wie 90 weitere Interessenten. Zum mehrstufigen, unkonventionellen Auswahlverfahren gehört auch, dass Max Felchlin das Ehepaar Aschwanden zuhause besucht. «Er wollte mich auch im privaten Umfeld kennenlernen und schauen, welche Bilder bei uns an der Wand hängen», erinnert sich Christian Aschwanden mit einem Schmunzeln. Schliesslich sei Max Felchlin auch ein leidenschaftlicher Kunstsammler und Förderer vieler kultureller Projekte in Schwyz gewesen. Zu guter Letzt soll Christian Aschwanden in einem Strategiepapier skizzieren, wohin die Reise von Felchlin gehen könnte. Seine Gedanken unter dem Titel «Die Vision eines Ausserirdischen» überzeugen, so dass er am Josefstag 1992 den Zuschlag erhält und von Max Felchlin zum Nachfolger gekürt wird. Wenige Monate später stirbt der Firmenpatron – im Wissen, dass er sein Lebenswerk in gute Hände gelegt hat. Die Art und Weise, wie der Generationenwechsel bei Felchlin vollzogen wird, zeugt von einer nachhaltigen, wertebasierten Firmenkultur. Diese ist für Christian Aschwanden die Basis, um das Traditionsunternehmen in den 1990er-Jahren neu auszurichten und als international bekannte Produzentin hochwertiger Couverturen zu positionieren.

VON DER BOHNE BIS ZUR COUVERTURE
Die Schokoladenindustrie ist mittlerweile weltweit stark konzentriert. Doch zwischen den Beinen der Riesen fänden Kleinere durchaus ihren Platz, ist Aschwanden überzeugt. Denn sie könnten sich auf Bereiche fokussieren, welche für die Grossen nicht lukrativ seien. Deshalb verfolgt er bei Felchlin bis heute eine konsequente Qualitätsstrategie. Nachhaltiges Denken und Handeln hätten auch mit dem Streben nach Perfektion zu tun, erläutert der Felchlin-CEO. Wer edle Schokoladenprodukte herstellen und verkaufen wolle, lege entsprechenden Wert auf Herkunft und Qualität der Rohstoffe, auf eine sorgfältige Verarbeitung und langfristige Beziehungen. Dies alles äussere sich nicht nur in einem besseren Geschmack der Produkte, sondern habe auch positive Folgen für die Biodiversität. In Ecuador beispielsweise finden sich im Regenwald noch ursprüngliche Mischkulturen, die von Kleinbauern bewirtschaftet werden. Wenn ein Unternehmen grosse Mengen an Schokolade produziere, müsse es weitgehend auf Kakaobohnen aus Monokulturen zurückgreifen, so Christian Aschwanden. Felchlin hingegen arbeitet als Nischenanbieter nicht mit Skaleneffekten, sondern bezieht die Kakaosorten direkt bei bäuerlichen Genossenschaften, welche den Kakao naturnah anbauen.
Der Name «Felchlin» stammt aus dem Alemannischen und bedeutet Falke. Die Felchlin sind in Schwyz alteingesessen. Der findige Kaufmann Max Felchlin sen. beginnt 1908 zunächst in Zürich einen Handel mit Bienenhonig und zieht dann in Schwyz eine «Honigzentrale» auf. Zusätzlich produziert er Kunsthonig, den er an Bäcker, Konditoren und Hoteliers verkauft. Bald kommen weitere Produkte hinzu wie Backpulver, Cremepulver, Praliné- und Nougatmasse und besonders Couverture. Mit der Herstellung und dem Handel von Schmelzschokolade für Konditoren dürfte Felchlin schweizweit ein Wegbereiter sein. 1962 übernimmt sein Sohn die Firma. Auch Max Felchlin jun. erweitert seinen Horizont in Übersee, mit privaten Folgen. Er heiratet eine Amerikanerin und bringt sie mit in die Schweiz. Unter seiner Leitung entwickelt sich das Unternehmen zu einem schweizweit bekannten Hersteller von Konditorei-Halbfabrikaten. Ausserdem exportiert es bereits 20 Prozent der Produkte ins Ausland, die Lieferungen gehen hauptsächlich in die USA und nach Japan. Am heutigen Firmenstandort in Ibach erbaut Felchlin 1974 eine neue Produktionsstätte und eröffnet in Schwyz 1987 das Schulungszentrum «Condirama» für Bäcker und Konditoren. Max Felchlin ist ein Patron alter Schule und versteht sich als humanistischer Kaufmann. Er fördert kulturelle Projekte, beschäftigt sich mit volkskundlichen Fragen, reist in ferne Länder und ist fasziniert von der japanischen Kultur. Als Freigeist gilt Max Felchlin im Kanton Schwyz als Paradiesvogel. Bei seiner Abdankung sprechen je ein Vertreter des katholischen, protestantischen und jüdischen Glaubens sowie ein persönlicher Freund. Ebenso unkonventionell wie das Leben von Max Felchlin ist seine Nachfolgeregelung.

Felchlin-CEO Christian Aschwanden (links) mit dem Kooperationspartner Yayra Glover in Ghana.

NACHFOLGE PER VEREIN
Max Felchlin will das Familienunternehmen nicht in eine Stiftung überführen. So gründet er 1990 den «Verein zur Förderung der Wirtschaft und des Kulturschaffens ». Diesem übergibt er die Mehrheit der Stimmrechtsaktien. Die Dividende hingegen geht grösstenteils an die Familienmitglieder. Der Verein besteht aus befreundeten Personen, die frei von finanzieller Interessenbindung die Werte von Felchlin teilen und für die Unabhängigkeit der Firma zu sorgen haben. In dieser ziemlich einzigartigen Rechtsform liegt für CEO Christian Aschwanden eine besondere Stärke. Dank Stabilität und Kontinuität werde nachhaltiges Denken und Handeln möglich. «Bei uns muss nicht jede Aktivität sofort Rendite bringen, sondern wir können die Dinge auch mal reifen lassen. Zudem sind wir gezwungen, zuerst das Geld zu verdienen und erst dann zu investieren. Das ist ebenfalls ein Aspekt von Nachhaltigkeit. Wir wachsen solid, aber nicht schnell.»
Christian Aschwanden ist im schwyzerischen Seewen aufgewachsen und kennt die benachbarte Felchlin-Schokoladenfabrik von klein auf. Als Bub ergattert er zuweilen ein Stück Schokolade, als Gymnasiast und Student ist er dort als Praktikant tätig. Nach seinem Studienabschluss als Lebensmittelingenieur an der ETH Zürich arbeitet Aschwanden am Labor für Milchwissenschaft. Weil ihm dieser Bereich zu stark mit der Landwirtschaftspolitik verbandelt ist, absolviert er ein betriebswirtschaftliches Fortbildungsstudium für Ingenieure und geht zu Lindt & Sprüngli nach Kilchberg. Dort entdeckt er seine Faszination für Schokolade und bereitet sich auf eine internationale Karriere vor. Doch das Leben hält sich oft nicht an Pläne: Ein Auslandsprojekt wird gestoppt, deshalb entscheidet sich Christian Aschwanden, eine neue Tätigkeit zu suchen. So kommt es zum Kontakt mit Felchlin.

«Nachhaltige Firmen erkennen Trends oft früher.»

Christian Aschwanden, CEO

QUALITÄT ALS CHANCE
Am 1. Januar 1993 startet Christian Aschwanden als Geschäftsleiter der Max Felchlin AG mit 75 Angestellten. Die Anfangsjahre seien schwierig gewesen, erinnert sich Aschwanden. Felchlin habe sich als Lieferant von Halbfabrikaten für die Konditorei-Branche wohl eine gute Grundlage mit einem beträchtlichen Exportanteil erarbeitet, doch die Produktionsanlagen seien veraltet gewesen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich das Branchenumfeld in den 1990er-Jahren dramatisch verändert. Die Gesamtzahl der Bäckereien, Konditoreien und Confiserien nimmt laufend ab. Denn dem traditionellen Bäcker- und Konditoreigewerbe machen das forsche Wachstum der Grossverteiler sowie ein grundsätzlicher Wandel der Lebens-, Arbeits- und Essgewohnheiten zu schaffen. Die Menschen wollen sich flexibler verpflegen und haben ein stärkeres Augenmerk auf Qualität und Genuss, das fordert auch Zulieferer wie Felchlin heraus, neue Ideen und Produkte zu entwickeln.
Christian Aschwanden erkennt mit seinem Team frühzeitig, dass Genussmittel wie Schokolade im Zeitalter der sich öffnenden Märkte und der Globalisierung eine neue Wertigkeit erfahren und sich mit zunehmender Massenproduktion ein attraktiver Nischenmarkt für Qualitätsschokolade öffnet. Deshalb setzt er verstärkt auf die traditionelle Felchlin-Strategie, die Arbeiten von Bäckern und Konditoren mit vorfabrizierten Produkten zu erleichtern. Die Felchlin-Halbfertigfabrikate ermöglichen ihnen, ihr Sortiment durch selbstgemachte Pralinés und Schokoladenprodukte zu erweitern. «Die Bäcker haben bald gemerkt, wie ihnen die Felchlin-Couverturen helfen, das Angebot zu verfeinern und damit einen höheren Gewinn zu erzielen», erläutert Aschwanden. Dies spricht sich auch in den Kreisen der Confiseure herum, viele von ihnen wechseln ebenfalls zu Felchlin. «So sind wir in einem bestehenden Markt gewachsen und haben auch davon profitiert, dass sich einige grosse Schokoladenproduzenten aus dem Handel mit Halbfabrikaten zurückgezogen haben.» Felchlin produziert ausschliesslich für Geschäftskunden. «Mit dieser klaren Haltung haben wir uns in der Branche viel Goodwill verschafft», präzisiert Aschwanden. 1999 lanciert Felchlin eine Grand- Cru-Couverture aus Edelkakao, eine schweizweite Innovation, wie Christian Aschwanden betont. Fünf Jahre später wird die «Maracaibo Clasificado 65» von Felchlin von der «Accademia Maestri Pasticceri Italiani» als beste Edelschokolade der Welt ausgezeichnet. «Solche Erfolge haben uns motiviert, Felchlin noch stärker als Produzentin hochwertiger Schokolade für Geschäftskunden zu positionieren.»

AUF DER SUCHE NACH EDLEM KAKAO
Der Chefeinkäufer von Felchlin, Felix Inderbitzin, wird um das Jahr 2000 mit der Aufgabe betraut, in Südamerika und Afrika Kakao-Edelsorten zu finden, zum Beispiel in Ecuador, Venezuela, Kolumbien und Bolivien sowie Ghana und Togo oder auf São Tomé e Principe oder Madagaskar. Weil Inderbitzin nach aromaintensiven Kakaobohnen in kleineren Mengen sucht, kommt nur ein Direktbezug ohne Zwischenhandel in Frage. Also macht er sich auf den Weg und spürt dem besten Kakao in den Ursprungsregionen nach. Dabei bewegt er sich nicht nur mit dem Flugzeug, sondern ist zuweilen auch per Boot oder gar zu Fuss unterwegs, denn er muss oft abgelegene tropische Regionen besuchen. Dort findet er spezielle Kakaosorten mit besonderem Aroma. Seine Lieferanten sind zumeist genossenschaftlich organisierte Kleinbauern, die neben Kakao auch Bananen, Ananas oder Papaya anbauen, was gut für die Humusbildung ist. Für diese Kooperativen ist eine langfristige Zusammenarbeit wichtig, und sie ist auch im Interesse von Felchlin. Entsprechend zahlt Felix Inderbitzin, wie er berichtet, für die Kakaobohnen einen recht guten Preis. Bei seinen Besuchen vor Ort achtet Inderbitzin auch auf den Unterhalt der Bäume, die Gesundheit der Früchte, die korrekte Trocknung der Bohnen sowie einen sinnvollen Transport. Nachhaltigkeit bedeutet für Felchlin überdies, punktuelle finanzielle Unterstützung zu leisten. Bei dem aktuellen Projekt «1 + 1» werden die Kunden ermuntert, pro Kilogramm Couverture einen Franken zusätzlich in einen Fonds einzubezahlen, Felchlin verdoppelt den Betrag. Die Bauern können dann vor Ort bestimmen, wie sie die Gelder für ein nachhaltiges Projekt investieren. Diese Aktion finde bei den Gewerbekunden einen guten Anklang, kommentiert Aschwanden.
Vom Anbau der Bohnen bis zur Conchierung der Kakaomasse nach traditionellem Verfahren mittels Längsreibern hat sich Felchlin in den letzten 30 Jahren eine umfassende Expertise aufgebaut. Die Kunden können sich detailliert über Aromen und Intensität der Produkte informieren oder im hauseigenen Schulungszentrum «Condirama» weiterbilden lassen. Seit 2019 sind im schwyzerischen Ibach Verwaltung, Entwicklung, Produktion und Kundenbetreuung im Felchlin-Neubau vereint. Hier arbeiten mittlerweile 150 Personen. Das Gebäude mit einer vorgehängten dunklen Holzfassade besticht durch sein markantes Obergeschoss. Dieses verfügt über eine auskragende Dachform von grosser Spannweite, welche an den japanischen Tempelbau erinnert und gleichzeitig mit den drei Spitzen eine Verbindung zum Bergpanorama im Hintergrund schafft. So verkörpert der Bau den Brückenschlag zwischen regionaler Verbundenheit und internationaler Orientierung.

Einkaufschef Felix Inderbitzin (rechts) im Cocoa Research Institute of Ghana.

NACHHALTIG UND KREATIV
Christian Aschwanden ist überzeugt, dass nachhaltig orientierte Unternehmen wie Felchlin einen langen Atem haben. Wenn sie ein Thema verfolgen, dann tun sie dies konsequent, damit sich das Investment auch lohnt. Nachhaltige Unternehmen besitzen eine Kultur der ständigen Verbesserung. In der Folge erkennen sie Trends oft früher und entwickeln gemeinsam mit Geschäftspartnern oder Kunden neue Ideen. «Unsere Kinder und Enkel werden die Welt mit anderen Augen betrachten und beispielsweise bei der Ernährung gegenüber Zucker und Fett kritischer eingestellt sein», so Aschwanden. Felchlin arbeitet deshalb aktuell mit einem ETH-Start- up zusammen, welches den Fruchtsaft bei der Ernte des Kakaos gewinnt und als aromatisches Süssmittel verwenden will. Künftig könnten so bei schokoladenhaltigen Produkten Fett und Zucker eingespart und den Kakaobauern ein zusätzliches Einkommen erschlossen werden. Schokolade gilt als Genussmittel par excellence. Voraussetzung für den Genuss ist eine hohe Qualität. Wer diese erreichen will, muss mit den Ressourcen sorgsam umgehen und dabei neugierig und innovativ bleiben – so wie Felchlin.

Bernhard Ruetz: Innovativ. Nachhaltig. Erfolgreich. 
Zehn Schweizer Unternehmen und ihre Geschichten
Verlag Ars Biographica, Humlikon 2019. 
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