Prof. Dr. David N. Bresch
Der promovierte ETH-Physiker und Risikoexperte trägt mit seiner Expertise zu fundierten Umweltentscheidungen in Wirtschaft und Politik bei.
«Innovatives Unternehmertum für wirksamen Klimaschutz»
Prof. Dr. David N. Bresch hat die gemeinsame Professur von ETH Zürich und MeteoSchweiz für Wetter- und Klimarisiken inne. Der promovierte ETH-Physiker und Risikoexperte trägt mit seiner Expertise zu fundierten Umweltentscheidungen in Wirtschaft und Politik bei. Er bewegt sich gewandt an der Schnittstelle zwischen Naturwissenschaften, Soziologie und Politökonomie, inspiriert durch kluge Analysen, kreative Ansätze und vernetztes Denken. Im Interview zitiert er unter anderem Kurt Tucholski und geniesst dabei einen feinen Espresso aus der Siebträgermaschine seiner Forschungsgruppe.
Herr Bresch, wie tiefgreifend wird der Klimawandel unser Leben in der Schweiz beeinflussen? Was sind die direkten und indirekten Auswirkungen auf die Wirtschaft?
Nach meiner Überzeugung werden die indirekten Auswirkungen des Klimawandels auf unser Leben grösser sein als die direkten Folgen. Natürlich werden wir Lösungen finden müssen für Trockenheit und Hitze, für höhere Niederschläge, häufigere Stürme, Starkregenereignisse und Überschwemmungen. Doch als hochentwickeltes Land werden wir die Anpassung schaffen. Unsere Verletzlichkeit entsteht vor allem dadurch, dass wir weltweit vernetzt sind, insbesondere ökonomisch. Es kann uns moralisch, aber auch aus Eigeninteresse nicht egal sein, wenn Natur und Menschen in anderen Regionen der Welt massiv unter den Folgen des Klimawandels leiden. Im Worst-Case-Szenario, bei einem Temperaturanstieg von über 4 Grad, werden unsere Nachkommen mutmasslich in einer Welt der Bürgerkriege leben, die von Verteilungskämpfen geprägt sein wird.
Entsprechend birgt der Klimawandel auch für uns in der Schweiz grosse Risiken?
Ja, aber wir können aus der Situation auch grosse Chancen generieren. Unsere Herausforderung besteht darin, alle Kräfte zu bündeln, um die Schweiz tatsächlich bis 2050 zu dekarbonisieren – obwohl wir heute die Notwendigkeit noch kaum wirklich am eigenen Leib spüren. Gleichwohl müssen wir jetzt handeln und in den nächsten 30 Jahren unser gesamtes Energie- und Wirtschaftssystem so umbauen, dass wir als Land CO2-neutral werden. Das heisst, falls wir fossile Energieträger überhaupt noch verwenden, müssen wir sie kompensieren, respektive der Atmosphäre entsprechend CO2 entziehen. Das bedingt eine grundlegende Transformation, auch gesellschaftlich. Doch ich bin überzeugt, dass wir das schaffen können.
«Die Schweiz verfügt über genug Expertise, um zum Vorreiter nachhaltiger Zukunftstechnologien zu werden.»
Werden wir auf diesem Weg unseren Wohlstand verlieren?
Genau das Gegenteil ist der Fall: Wenn wir die Dekarbonisierung verpassen, werden wir ab- gehängt. Die Umstellung auf klimaneutrale Energien ist eine grosse Chance, weil wir in vielen Branchen die Technologieführer sind. Die Schweiz verfügt über genug Expertise, um zum Vorreiter von Zukunftstechnologien zu werden, die anschliessend weltweit zum Einsatz kommen. Wirksamer Klimaschutz lässt sich vor allem mit innovativem Unternehmertum erreichen. Übrigens beobachte ich in der jungen Generation auch einen Wertewandel hin zu mehr Qualität und weniger Quantität. Insofern werden wir den Begriff «Wohlstand» in Zukunft möglicherweise auch anders definieren. Statt grosser Autos, Fernreisen und einem freistehenden Einfamilienhaus, streben die Menschen des 21. Jahrhunderts möglicherweise verstärkt nach einer guten Work-Life-Balance, selbstbestimmtem Arbeiten und persönlicher Weiterentwicklung, vielleicht gar nach Ruhe und Musse.
Welche Wirtschaftsbranchen wird der Wandel betreffen?
Viele Sparten können hierzulande profitieren, vom Maschinenbau über die Klimatechnik bis zum Finanzsektor: Wenn der Finanzplatz Schweiz ein Land wäre, wäre er der sechstgrösste CO2-Emittent. Das heisst, wir haben hier durch nachhaltige, verantwortungsvolle Anlagestrategien einen höchst wirksamen Hebel, um CO2 weltweit zu reduzieren. Das kann beispielsweise geschehen, indem ein Fonds nicht in die Erschliessung neuer Erdölvorkommen investiert, sondern stattdessen in vernetzte, dezentralisierte Energiesysteme. Übrigens entsteht nur knapp die Hälfte unseres ökologischen Fussabdrucks im eigenen Land, in unserer Partnerschaft mit internationalen Lieferanten und Kunden liegt deshalb ein weiterer grosser Hebel, um etwas zu bewirken.
Gleichwohl: Was bringt es uns, wenn wir in der Schweiz alles umstellen, aber Hauptverursacher wie die USA und China nichts ändern?
In der Tat haben wir in den USA momentan eine politische Führung, welche das Thema Klimawandel negiert. Die herrschenden Kräfte bewirtschaften die Ängste eines absteigenden Mittelstandes. Doch die grossen Städte verfolgen alle eine Klimaagenda. Kalifornien etwa ist schon lange auf dem Weg in die Dekarbonisierung. Das Bild ist also vielfältiger, als es von Europa aus zuweilen wirken mag. In China wird die Klimapolitik dominiert von der Überzeugung der Elite, dass eine gewisse Umweltqualität notwendig sei, um den Mittelstand ruhig zu stellen. China diskutiert auf dieser Basis über Wasser- und Luftqualität, ähnlich wie in Westeuropa ab den 1960er-Jahren. Doch eine strategische Perspektive oder gar das Bewusstsein, dass China als dominante Wirtschaftsmacht auch weltweit eine Verantwortung hat, scheint mir noch von kurzfristigem Vorteilsdenken überschattet. Und Europa ist zwar willens, sich für den Klimaschutz zu engagieren und hat auch seine Verantwortung erkannt, kann aber seine Rolle – auch aufgrund unnötiger interner Querelen – nicht wahrnehmen.
Sind also alle Bemühungen nutzlos, weil wir als Schweiz zu klein sind, um etwas zu bewirken?
Ich glaube, unser Einfluss als Schweiz ist viel grösser als unser Beitrag zum Klimaschutz allein. Wir treten in Klimaverhandlungen im Sinne der «Guten Dienste» für mehr als unsere engsten Anliegen ein. Unsere Glaubwürdigkeit gründet darin, dass wir weder ein dominierender Industriestaat noch eine Grossmacht sind, vor der die anderen Angst haben. Wir können und müssen mit allen im Dialog bleiben, selbst mit Staatsvertreten zweifelhaften Leumundes. Ausserdem kann unser politisches System beispielhaft sein. Denn mit ihrer föderalistischen und konsensorientierten politischen Kultur ist die Schweiz weniger erratisch als Konfliktkulturen und kann sich auf lange Sicht schneller – und nachhaltiger – verändern. Aufgrund des Wohlstands und Bildungsniveaus ist das Land gut ausgestattet, um neue Technologien auszuprobieren. Allerdings müssen wir bereit sein, auch Risiken einzugehen und unternehmerisch zu handeln.
Auch wenn die Mehrheit das Ziel des Klimaschutzes teilt – der Weg dorthin ist umstritten. Wie viel lässt sich auf freiwilliger Basis erreichen?
Die Politik sollte vor allem Rahmenbedingungen und Anreize für den Klimaschutz setzen – Verbote sind für mich die letzte Option, wenn Lenkungsmassnahmen dauerhaft nicht greifen. Dieses Vorgehen hat sich bei der CO2 -Lenkungsabgabe für Brennstoff bewährt – ein gleiches Vorgehen wäre nun auch bei den Treibstoffen angezeigt. Dass wir in der Schweiz die Lösung mit einem breiten Konsens erreicht haben, zeugt für mich von der Reife des politischen Systems.
«Priorität hat die Transformation hin zu Netto-Null. Deshalb müssen wir jetzt Leuchtturmprojekte lancieren und Geschichten erzählen, welche die Menschen inspirieren.»
Bedeutet Klimaschutz auch eine Korrektur des Wachstumsoptimismus der Nachkriegszeit?
Ein Gutteil unseres Wohlstands hatte mit der Verfügbarkeit billiger Energie zu tun. Doch mittlerweile sind auch die erneuerbaren Energien günstiger geworden, weil wir nun über die notwendigen Schlüsseltechnologien verfügen. Die Verwalter der klassischen Technologien leisten logischerweise Widerstand. Doch wir müssen aufhören, in Schwarz-Weiss-Kategorien zu denken: Gerade in Saudi-Arabien könnte man ideal mit Solarkraft synthetische Treibstoffe herstellen – dann wäre Fliegen klimaneutral.
Wegen der natürlichen Wettervariabilität ist es für den Einzelnen schwer, die schleichende Veränderung des Klimas zu erkennen. Wie können Sie das Thema dennoch in der Öffentlichkeit vermitteln?
Dabei helfen uns Klimaszenarien und Modelle, die künftige Veränderungen anschaulich machen. So erwarten wir zum Beispiel, dass wir in 30 Jahren jeden Sommer über mehrere Wochen mit schlafraubenden Tropennächten rechnen müssen, falls wir uns beim Klimaschutz nicht anstrengen. Solche Beispiele machen den Klimawandel greifbar. Nun gilt es, unsere Erkenntnisse in die Raum- und Städteplanung einzubeziehen: Funktioniert die Gebäudetechnik noch, wenn es ein Grad wärmer ist? Welche planerischen und baulichen Massnahmen stehen uns nebst technischer Lösungen zur Verfügung? Soll der Individualverkehr einfach auf elektrischem Antrieb basieren oder können wir den Mix der Verkehrsmittel verändern – und welche Lebensqualität ist mit dem Langsamverkehr verbunden? Darauf müssen wir Antworten finden.
Wie sehen Sie Ihre Rolle beim Finden dieser Antworten?
Ich sehe mich an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Ich will niemandem sagen, was er zu tun hat, sondern im Dialog Lösungen entwickeln, z.B. mit städtischen Akteuren, mit der Politik oder mit Unternehmern. Wir haben 30 Jahre Zeit für die Transformation, aber wir müssen jetzt beginnen.
Wie schafft man das Kunststück, Menschen für Veränderungen zu begeistern, die sie oft selbst nicht mehr betreffen?
Wer Kinder hat, möchte für sie eine lebenswerte Welt erhalten. Auch CEOs, die länger in ihrer Funktion sind, fragen sich irgendwann: «Was ist mein Vermächtnis? Wie möchte ich in die Firmengeschichte eingehen?» Beim Patron ist das von jeher Teil seines Selbstverständnisses. Selbst der Sanierer kann, wenn das Überleben einer Institution gesichert ist, die Chance nutzen, um gezielt auch über die fernere Zukunft nachzudenken und die Weichen entsprechend zu stellen. Denn Krisen bergen auch die Chance, etwas ganz neu zu denken.
Beginnt mit der Klimadiskussion eine neue Phase der Industrialisierung?
Ich glaube, dass dem so ist. Irgendwann in der Zukunft werden wir die heutige Zeit als das Zeitalter der Dekarbonisierung bezeichnen. Wenn ich mir heute Nullenergie-Häuser anschaue, dann hat die Zukunft bereits begonnen. Es bleibt uns gleichwohl nicht erspart, den negativen Auswirkungen des Klimawandels zu begegnen und in die Anpassung zu investieren. Doch Priorität hat die Transformation hin zu Netto-Null CO2-Emissionen bis 2050. Deshalb müssen wir jetzt Leuchtturmprojekte lancieren und Geschichten erzählen, welche die Menschen mitnehmen und inspirieren. So wie in diesem Buch.
Bernhard Ruetz: Innovativ. Nachhaltig. Erfolgreich.
Zehn Schweizer Unternehmen und ihre Geschichten
Verlag Ars Biographica, Humlikon 2019.
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