Thomas Streiff

Thomas Streiff
Dr. sc. techn. Thomas Streiff ist Agraringenieur ETH, Experte im Bereich nachhaltige Entwicklung und Mitherausgeber dieses Buches.

Fit für die Zukunft – Versuch einer Synthese

Was bedeutet Nachhaltigkeit im unternehmerischen Kontext? Eine Frage, die mir von Führungskräften im Rahmen meiner Beratungsmandate, von Studierenden anlässlich von Blockkursen und Vorlesungen oder in Diskussionen mit Freunden und Bekannten immer wieder gestellt wird. Gleichwohl kann und möchte ich diese Frage nicht mit einer allgemein gültigen Definition beantworten – obwohl ich mich seit über dreissig Jahren in verschiedenen Positionen und beruflichen Funktionen mit dem Thema auseinandersetzen durfte.

EIN GESCHÄRFTES BEWUSSTSEIN
Weshalb? Viel hat sich in Sachen ökologischer und gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen verändert, seit vor über dreissig Jahren die von den Vereinten Nationen ins Leben gerufene Brundtland-Kommission den Bericht «Unsere Gemeinsame Zukunft» veröffentlichte. Dessen zentrales Postulat nach einer nachhaltigen Entwicklung, «die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können», hat einiges ausgelöst und wesentlich die Klimadebatte vorangetrieben. Die erste Klimakonferenz, welche Ende der 1970er-Jahre unter dem Dach der Vereinten Nationen Forderungen an eine zukunftsfähige Klimapolitik stellte, konnte nur eine geringe politische Resonanz auslösen. Erst als ein Jahr nach Veröffentlichung des Brundtland-Berichts an der Toronto-Konferenz von 1988 konkrete Fakten zum Zustand des Weltklimas präsentiert wurden und die Forderung aufkam, den Treibhausgasausstoss bis 2050 um fünfzig Prozent gegenüber dem aktuellen Stand zu reduzieren, kam Bewegung in die Diskussion: Sieben Jahre später einigten sich die Mitglieder der Vereinten Nationen auf das erste völkerrechtlich verbindliche Instrument zum Schutz des Klimas, bekannt als Kyoto- Protokoll. Das in Toronto vorgeschlagene und damals als zu ambitiös befundene globale Treibhausgasreduktionsziel sollte erst nach weiteren 27 Jahren die notwendige Anerkennung der UN-Mitgliedstaaten finden, beim Übereinkommen von Paris, welches von den spürbar negativen Auswirkungen der fortschreitenden Klimaänderung geprägt war.

UMWELTKOSTEN INTERNALISIEREN
Bis Ende der 1980er-Jahre hatte sich primär die öffentliche Hand um die Vermeidung und Bewältigung negativer Auswirkungen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Aktivitäten auf das natürliche Umfeld gekümmert. Sei es mittels der Einführung spezifischer Gesetze, Investitionen in teure Infrastrukturanpassungen – wie etwa bei der Trink- und Abwasseraufbereitung oder Abfallentsorgung – oder bei der kostspieligen Sanierung kontaminierter Böden und verschmutzter Gewässer. 1992, an der zweiten Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung, besser bekannt als Rio-Konferenz, kam es nicht zuletzt aufgrund des Drucks von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sowie konstruktiver Vorschläge seitens der Wirtschaft zu einem eigentlichen Paradigmenwechsel. Unter anderem wurde dort der Grundsatz der Internalisierung von Umweltkosten formuliert, womit die Verursacher einer nachweisbar ökologischen Beeinträchtigung die Kosten der Wiederinstandsetzung zu tragen haben. In der Folge gründete der Schweizer Unternehmer Stephan Schmidheiny Mitte der 1990er-Jahre den World Business Council for Sustainable Development (WBCSD). Dieser verfolgt seither das Ziel, für Wirtschaftsakteure wirksame Leitlinien und Instrumente zur achtsamen Nutzung natürlicher und nichtregenerativer Ressourcen zu entwickeln und deren Anwendung zu propagieren. Heute zählen rund zweihundert global tätige Unternehmen zu den Mitgliedern des WBCSD. Mit ihren Programmen haben sie sich die «Beschleunigung der Transformation in eine nachhaltige Welt» zum Ziel gesetzt.

«Alle zehn Unternehmen haben eines gemeinsam: Sie scheuen Veränderungen in ihrem Umfeld nicht, sondern gehen diese aktiv an, abgestützt auf eine starke Unternehmenskultur. »

INVESTITION IN DIE ZUKUNFT
Anfang der 1990er-Jahre war ich als Fachexperte in einem Landwirtschaftsprojekt in Ostafrika tätig. War der biologische Landbau während meines Studiums, das ich Mitte der 1980er-Jahre abschloss, noch ein Nischenthema, erlebte ich nun in einem Entwicklungsland den Bewusstseinswandel: Die Verwendung von Pestiziden stand auf dem Prüfstand, ökologisch oder gesundheitlich gefährliche Substanzen wurden verboten oder ihre Beschaffungs- und Anwendungsbestimmungen wurden restriktiver. Ich hatte zudem den Auftrag, Lösungen zur «Entintensivierung» eines grossen staatlichen Rinderzuchtbetriebs auszuarbeiten, mit dem Ziel, den Verbrauch an natürlichen und fossilen Ressourcen wesentlich zu verringern, dem Verlust an Biodiversität Einhalt zu gebieten sowie die fachlichen Qualifikationen der Farmangestellten und deren Arbeitsbedingungen zu verbessern. Gleichzeitig durfte ich den Aspekt der Wirtschaftlichkeit nicht vernachlässigen. Gerade dieser Anspruch hat damals wesentlich mein Verständnis von nachhaltiger Entwicklung im Unternehmenskontext geprägt: Massnahmen zur Vermeidung und Bewältigung von ökologischen und sozialen Herausforderungen müssen gesellschaftlich und wirtschaftlich tragfähig sein, d.h. als Investitionen in eine zukunftsfähige Gesellschaft und in die Stärkung einer langfristigen Wettbewerbsfähigkeit verstanden werden. Bei der Wahl der zehn Unternehmen, die wir in unserer Publikation porträtieren, war der Anspruch auf wirtschaftliche Werterhaltung durch ökologisch und sozial verantwortliche Geschäftspraktiken ausschlaggebend. Gleichzeitig konnten die interviewten Unternehmensvertreterinnen und -vertreter anhand ihrer Erfolgsgeschichten plausibel bestätigen, dass die systematische Berücksichtigung relevanter Nachhaltigkeitsaspekte in ihren Prozessen, Produkten und Dienstleistungen die Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit nicht etwa einschränkt, sondern – zumindest mittel- bis langfristig – sogar stärkt.

VERANTWORTUNG UND TRANSPARENZ
Standen zu Beginn der Nachhaltigkeitsdebatte ökologische Ziele im Vordergrund, gewannen anfangs des neuen Jahrtausends soziale und ethische Prinzipien sowie Anforderungen an eine gute Unternehmungsführung (Good Governance) wesentlich an Bedeutung. Zehn Jahre nach der Rio-Konferenz, an der die noch ziemlich allgemein formulierte Agenda 21 verabschiedet wurde, verhandelten über 20 000 Vertreter von Regierungen, NGOs und Unternehmen in Johannesburg darüber, wie die Vision einer nachhaltigen Entwicklung verbindlicher und umfassender umgesetzt werden könnte. Die Teilnehmenden – ich durfte Swiss Re, meine damalige Arbeitgeberin, an diesem Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung vertreten – bestätigten die Dringlichkeit wirkungsvoller Massnahmen zur Verbesserung des Weltklimas, Umweltschutzes und der Biodiversität. Darüber hinaus billigten sie einen Aktionsplan mit quantitativen Zielen zur Reduktion von Armut, Gleichstellung der Geschlechter, Verbesserung der Grundausbildung und Gesundheitsversorgung. Diese Ziele sollten bis 2015 erreicht werden. Drei Jahre zuvor wurde der Globale Pakt der Vereinten Nationen (UN Global Compact) vom damaligen Generalsekretär und Nobelpreisgewinner Kofi Annan ins Leben gerufen. Sein Ziel war es, Impulse für eine sozial- und umweltverantwortlichere Globalisierung zu geben. Hatten sich 1999 bei der offiziellen Lancierung nur rund fünfzig multinationale Unternehmen verpflichtet, die insgesamt zehn Grundprinzipien zur gesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Verantwortung sowie zur Vermeidung von Korruption einzuhalten, haben seither rund zehntausend Unternehmen sowie einige Tausend NGOs, Stiftungen und Universitäten den Pakt unterzeichnet.

SELBSTVERPFLICHTUNG FÜR MINDESTSTANDARDS
Ich hatte Gelegenheit, während mehrerer Jahre die Entwicklung des UN Global Compact aktiv zu beobachten und zu begleiten. Seitens NGOs wird er – teils zu Recht – für seine fehlende Überprüfbarkeit kritisiert. So könne der Pakt von den Unterzeichnern für Marketingzwecke missbraucht werden. Das mag vorkommen, doch unwirksam ist der UN Global Compact dennoch nicht. Denn wer den Pakt unterzeichnet, geht eine Selbstverpflichtung ein, minimale Standards in allen operativen Ländern unabhängig von der vorherrschenden und oft auch fehlenden Rechtsvollstreckung entlang der gesamten Wertschöpfung einzuhalten. Und dies ist gemäss meiner Überzeugung eine wichtige Basis zur Förderung und Weiterentwicklung nachhaltigen Geschäftsgebarens. Voraussetzung ist jedoch, dass Unternehmen ihre Ambitionen, Werte und spezifischen Nachhaltigkeitsziele deklarieren und, basierend auf transparenten Regeln und evidenzbasierten Kriterien, regelmässig Rechenschaft ablegen, ob und wie sie diese erfüllen. Ich habe von 2006 bis 2013 im Rahmen von nationalen und internationalen Arbeitsgruppen und Dialogen zwischen Führungspersönlichkeiten und Experten aus Wirtschaft, Politik und NGOs an der Ausarbeitung der Anforderungen an eine gute Nachhaltigkeitsberichterstattung mitgewirkt. Die Entwicklungen in der Auslegung und Anwendung von Standards zur guten nichtfinanziellen Offenlegung, die in diesem Zeitraum und in der Folge erzielt wurden, können sich durchaus sehen lassen und stellen einen spürbaren Fortschritt dar. Ebenfalls seit 2006 überprüfe ich, unterstützt von einem interdisziplinären Analysten- und Beraterteam, jährlich über hundert Unternehmen mit Hauptsitz in der Schweiz, Europa, Amerika und in Schwellenmärkten bezüglich deren Umgang mit relevanten sozialen, ökologischen und Governance-bezogenen Herausforderungen. Unsere systematischen Evaluationen stützen wir bewusst auf die Unternehmenskommunikation ab, um deren Plausibilität zu beurteilen. Doch mit unseren Analysen wollen wir primär klären, inwieweit die Unternehmen «fit» sind, bestehende und künftige gesellschaftliche, soziale und ökonomische Herausforderungen, die sowohl ihre Stakeholder als auch die eigene Wertschöpfung beeinflussen, nachhaltig anzugehen – nachhaltig im Sinne der Brundtland-Postulate. Die Ergebnisse diskutieren wir mit den Unternehmen, um einen authentischen Eindruck zu gewinnen, ob und wie sie sich bezüglich ökologisch und sozial verantwortungsvoller Unternehmensführung, Produktentwicklung und Dienstleistungsangebot weiterentwickeln wollen und können. Aufgrund dieses Einblicks und meiner Beratungserfahrung komme ich zu dem Schluss, dass der Privatsektor in den vergangenen 15 Jahren wesentliche Fortschritte bei der Ausgestaltung, Verankerung und Umsetzung nachhaltiger Geschäftspraktiken gemacht hat. Grund dafür sind sicher die steigenden Erwartungen von Investoren, Kunden, meinungsbildenden NGOs sowie Mitarbeitenden an unternehmerische Verantwortung. Es ist ein allgemeiner Konsens, dass diese Verantwortung über die Einhaltung von Gesetzen und Normen hinausgeht. Die Vermeidung von negativen Auswirkungen auf die natürliche und soziale Umwelt ist ein zentraler Anspruch an ein nachhaltiges Wirtschaften, denn damit kann ein Unternehmen einen möglichen Reputationsverlust und allfällige Schadensbewältigungs- und Anwaltskosten verhindern. Mit der effizienten Nutzung von erneuerbaren und fossilen Ressourcen können zudem Fixkosten wesentlich eingespart werden.

NACHHALTIGKEIT ALS CHANCE
Gleichzeitig beobachte ich, dass Unternehmen gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen vermehrt als Chance betrachten und mit innovativen Lösungen und Produkten, die eine nachweislich positive Wirkung auf das natürliche und soziale Umfeld erzielen, ihre Position in relevanten Märkten stärken bzw. aufbauen. Dies trifft für alle der zehn porträtierten Unternehmen zu. Im Bereich wirkungsvolle Ressourceneinsparungen und Reduktion von Treibhausgasen ist es den vorgestellten Firmen gelungen, sich in wachsenden Nachfragemärkten erfolgreich zu differenzieren: Belimo schafft dies mit intelligenten Klappenantrieben und Ventilsystemen, Hofmann Gartenbau punktet durch eine prozessoptimierte und umweltgerechte Gestaltung privater und öffentlicher Grünanlagen, MAN Energy Solutions überzeugt mit neuartigen Energiespeicherverfahren im Megawattbereich, Sika setzt auf umweltverträgliche und qualitätsverbessernde Hilfsstoffe für die Bau- und Automobilindustrie, South Pole positioniert sich als Entwickler und Vermittler von Klimaschutzprojekten und Wyon produziert aufladbare Kleinstbatterien für Geräte im Medizinalbereich. Andere Firmen setzen ihren Schwerpunkt auf innovative Unternehmensentwicklungsstrategien in einem hochkompetitiven Marktumfeld: Büchi Labortechnik verfügt über ein von den Mitarbeitenden mitentwickeltes und aktiv mitgetragenes, starkes Kultur- und Qualitätsverständnis, die Mobiliar setzt auf kreative und interdisziplinäre Innovationsförderprogramme, Felchlin fokussiert sich auf Gewerbekunden und beschafft qualitativ hochwertige Kakaobohnen, die in nachhaltigen, kleinbäuerlichen Strukturen produziert werden, Ergon bildet autonome Teams mit eigenem Projekt- und Kundenportfolio.

WAS BEINHALTET UNTERNEHMERISCHE NACHHALTIGKEIT?
Vorgaben zu «guter» nichtfinanzieller Unternehmensberichterstattung, wie sie etwa mittels Reporting-Standards oder von Ratingagenturen definiert werden, legen den Schluss nahe, das Nachhaltigkeitsprinzip sei als normatives Rahmenwerk zu verstehen. Doch dieser Gedanke greift zu kurz. Denn genauso wichtig wie messbare Standards und Kriterien sind das Schaffen und die Verankerung zentraler Unternehmenswerte, Verhaltens- und Verantwortungsprinzipien. Doch diese müssen lebbar sein und gelebt werden. Dies setzt eine Unternehmenskultur voraus, die Eigenverantwortung fördert und einfordert, aber auch zu einem konstruktiven Wertediskurs einlädt. Es braucht Vorbilder auf allen Führungsebenen und in der Linie, die authentisch wertorientiertes und – was in Bezug auf nachhaltiges Unternehmertum wesentlich ist – vorausschauendes Denken und Handeln vorleben. Zukunftsorientiertheit, um zukunftsfähig zu bleiben – das wäre für mich der zentrale Anspruch an eine erfolgreiche nachhaltige Unternehmensführung. Dies erfordert indes eine grosse individuelle und institutionelle Lernbereitschaft und -fähigkeit. Diese ist nicht nur notwendig, um resilient gegenüber herausfordernden Umfeldveränderungen zu bleiben und um sich kontinuierlich zu verbessern, sondern sie stellt auch einen zentralen Treiber von Innovation dar. Die zehn porträtierten Unternehmen – so unterschiedlich sie bezüglich Grösse, Sektor, Alter und Besitzverhältnissen auch sind – zeichnen sich alle dadurch aus, dass sie nachhaltige Entwicklung als Anspruch und als evolutionäres Modell verstehen und sich daran orientieren. Alle zehn Unternehmen und deren Protagonisten haben eines gemeinsam: Sie scheuen Veränderungen in ihrem Umfeld nicht, sondern gehen diese aktiv und verantwortungsvoll an, abgestützt auf eine starke Unternehmenskultur, getragen von glaubwürdigen Führungspersönlichkeiten, motivierten und verantwortungsbewussten Mitarbeitenden und ausgerichtet auf die Erwartungen und Bedürfnisse ihrer Stakeholder. Sie sind fit für eine generationenübergreifende Zukunft!

Bernhard Ruetz: Innovativ. Nachhaltig. Erfolgreich. 
Zehn Schweizer Unternehmen und ihre Geschichten
Verlag Ars Biographica, Humlikon 2019. 
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