ZOO ZÜRICH

Naturschutz und Unternehmertum

WER DER ZOO ZÜRICH IST
Kultur braucht Förderung, so die geläufige Meinung. Auch die Zoologischen Gärten dieser Welt sind üblicherweise stark abhängig von öffentlichen Geldern. Wie es auch anders geht, zeigt der Zoo Zürich: Er trägt sich weitgehend selbst. Im Jahr 2015 ist es erstmals gelungen, den Anteil der Betriebssubventionen auf unter 25 Prozent zu senken, dank 1,2 Millionen Besuchern pro Jahr, erfolgreichem Sponsoring und zahlreichen Veranstaltungen, von der Übernachtung in einer mongolischen Jurte über Führungen bis zur Hochzeit. Gleichzeitig gilt der Zoo Zürich als einer der besten Europas – vor allem punkto Tierhaltung und Naturschutz. 1929 als Genossenschaft gegründet, ist der Zoo Zürich seit 1999 eine Aktiengesellschaft. Stadt und Kanton Zürich sind je zu 12,5 Prozent beteiligt, die übrigen Aktien liegen in privaten Händen. Heute beschäftigt die Zoo AG 370 Mitarbeitende und generiert jährliche Betriebskosten in Höhe von 27 Millionen Franken. 375 verschiedene Tierarten gibt es aktuell im Zoo zu sehen, insgesamt beherbergt er 4673 Tiere. Die Gründung des Zoo Zürich ist engagierten Zürcher Bürgern zu verdanken, allen voran dem ersten Direktor, dem späteren Zoologieprofessor Hans Steiner. Er begründet bereits den wissenschaftlichen Anspruch des Zoos, wenngleich die finanziellen Mittel es noch nicht erlauben, diesen Ansatz konsequent umzusetzen: Zu Beginn sind lediglich elf Personen angestellt. Sie sind bereits für rund 1800 Tiere verantwortlich – und die Standards der Tierhaltung sind entsprechend einfacher als heute. Nach zwei eher schwierigen Jahrzehnten in den Kriegs- und Krisenjahren um den Zweiten Weltkrieg verschreibt sich der Zoo Zürich unter Heini Hediger zunehmend dem Natur- und Artenschutz: Der Zoologieprofessor leitet den Zoo von 1954 bis 1973, gilt als Pionier der Tiergartenbiologie und wichtiger Vertreter der Tierpsychologie. Sein grosses Anliegen ist der artgerechte Umgang mit den Tieren. Dementsprechend investiert er in die Qualität der Tierhaltung und macht den Zoo international bekannt als wissenschaftlich geführtes Unternehmen, auch dank seiner intensiven Öffentlichkeitsarbeit.
Seit 1991 steht der Tierarzt Alex Rübel an der Spitze des Zoos und beruft sich explizit auf die Tradition von Heini Hediger. Unterstützt wird er auf diesem Kurs vom Verwaltungsratspräsidenten Martin Naville. Bereits 1993 hat Rübel der Öffentlichkeit einen «Masterplan» für den Ausbau des Zoo Zürich vorgestellt, den er seither kontinuierlich umsetzt. Er steht unter dem Motto: «Doppelt so viel Platz für gleich viele Tiere.» Entsprechend wird das Gelände des Zoos in mehreren Ausbauetappen bis 2020 von 13 auf rund 27 Hektar vergrössert. Grundgedanke ist es, die Zootiere in ihren Ökosystemen zu zeigen. Innerhalb geografischer Grossregionen wie Eurasien, Südamerika oder Afrika werden die einzelnen Lebensräume in Szene gesetzt, im Sinne eines «Geozoos». Dazu gehören Attraktionen wie der «Masoala Regenwald», ein Vorzeigeprojekt auf dem Weg zum Naturschutzzentrum. In der 120 m langen, 90 m breiten und bis zu 30 m hohen Halle wird auf knapp 11 000 m2 ein Stück des bedrohten Urwaldes von der madegassischen Masoala-Halbinsel nachgebildet. So werden die natürlichen Zusammenhänge der Tier- und Pflanzenwelt ausserhalb des Ursprungsgebiets für ein breites Publikum erlebbar gemacht. Im Masoala Regenwald können sich Tiere wie Lemuren, Chamäleons, Riesenschildkröten oder Flughunde frei bewegen. Andere bereits realisierte Projekte des Masterplans sind die Löwenanlage, der Kaeng Krachan Elefantenpark, eine ostafrikanische Bergwelt für Affen und Steinböcke sowie das Pantanal, eine südamerikanische Sumpflandschaft. Als weitere Ausbauschritte folgen die Umwandlung des Afrikahauses in eine Australienanlage sowie die Lewa Savanne, ein grosszügiger Lebensraum für Giraffen, Breitmaulnashörner, Zebras, Antilopen und Strausse.

Gemeinsame Mission: VR-Präsident Martin Naville (links) und Zoodirektor Alex Rübel.

WAS SIE ANTREIBT
Heute verfügt der Zoo Zürich im Urteil von Experten über eine der besten Tierhaltungen der Welt mit zahlreichen Zuchterfolgen und einer ausgesprochen hohen Haltungsqualität, die den natürlichen Bedürfnissen der Tiere bereits sehr nahekommt. Der Zoo bietet Menschen jeder Altersgruppe Tiererlebnisse. Doch er sieht sich keineswegs als Freizeitpark, sondern vielmehr als wissenschaftliche Institution mit pädagogischem Anspruch: «Wir verstehen uns als Botschafter zwischen Mensch, Tier und Natur», erläutert Zoodirektor Rübel. Selbstverständlich will er seinen Besuchern die Möglichkeit geben, exotische Tiere zu beobachten und sich an ihnen zu erfreuen. Doch das Kernanliegen ist es, über das breite öffentliche Interesse am Zoo den Menschen ein Bewusstsein für den Natur- und Artenschutz zu vermitteln, getreu dem Leitspruch: «Wer Tiere kennt, wird Tiere schützen.» Die Zootiere werden damit zu Stellvertretern ihrer gefährdeten Artgenossen weltweit. Dies ist auch einer der Gründe, warum der Zoo verstärkt auf Business- und Info-Anlässe setzt: «Wir wollen eben nicht nur die Familien erreichen, sondern auch die Entscheidungsträger sensibilisieren.»

«Wer Tiere kennt, wird Tiere schützen.»

Alex Rübel, Zoodirektor

Und Alex Rübel geht noch weiter: Der Zoo Zürich unterstützt in sieben Schwerpunktprojekten Naturschutzaktivitäten rund um den Globus, im Jahr 2016 mit gut 1 Million Franken. Jede neue Anlage ist mit einem Naturschutzprojekt verbunden: Auf Masoala beispielsweise hat der Zoo die Anpflanzung von 60 000 Bäumen ermöglicht. Sie dienen einerseits der Aufforstung wichtiger Waldkorridore, andererseits dem Anbau von nachhaltigem Kakao. Dieses Engagement kann aber nur gemeinsam mit den Menschen vor Ort funktionieren, betont VR-Präsident Martin Naville: «Wir sind da sehr realitätsbewusst.» Realistisch ist auch, dass der Zoo nicht den Anspruch hat, ganze Arten zu retten: «Das übersteigt unsere Möglichkeiten. Aber wir können punktuell etwas bewegen.» Gerade beim Engagement für Natur- und Artenschutz ist laut Martin Naville Glaubwürdigkeit ein zentraler Faktor: «Wenn wir schon den Schutz des Lebensraums predigen, dann müssen wir das auch selbst leben, zum Beispiel durch CO2-neutrale Energienutzung, Wassersparen und Recycling.»
Über seine Wirkung beim Zoo Zürich hinaus hat sich Alex Rübel auch über Jahre im Weltzooverband engagiert und «dessen Strategie massiv beeinflusst im Sinne artgerechter Lebensbedingungen und mehr Engagement für den Naturschutz », so urteilt Martin Naville. Im internationalen Netzwerk mit anderen Zoos beteiligen sich die Zürcher mit 40 Erhaltungszuchtprogrammen, um zum Überleben von gefährdeten Tierarten wie der Arabischen Oryx-Antilope beizutragen.

Die Elefanten lassen sich im Zoo Zürich manchmal sogar beim Schwimmen beobachten.

WAS SIE ANDERS MACHEN
Die Qualität der Tierhaltung ist im Zoo Zürich beispielhaft. Für den Besucher bedeutet das, dass er die Tiere in einer möglichst natürlichen Umgebung sieht – oder eben manchmal auch nicht. Denn sie verfügen über Rückzugsmöglichkeiten und Verstecke. Statt engen Gehegen gibt es grosszügige Platzverhältnisse für die meisten Tierarten. Können diese natürlichen Bedingungen nicht sichergestellt werden, verzichtet Alex Rübel im Zweifelsfall darauf, eine Art zu präsentieren. Deshalb gibt es im Zoo Zürich aktuell weder Eisbären noch Schimpansen zu sehen.
Zum hohen Anspruch an die Tierhaltung passt, dass der Zoo Zürich keine Tiershows präsentiert. Zwar können an kalten Tagen die Besucher mit Glück die «Pinguin-Parade» beobachten, doch hier geht es nicht nur um das Amüsement der Besucher, sondern auch um dasjenige der Pinguine: Der Spaziergang soll den neugierigen und aufgeweckten Tieren Auslauf und eine Abwechslung bieten. Die Pinguine entscheiden jeweils selbst, ob sie teilnehmen wollen – denn beim Tierwohl «machen wir keine Kompromisse», betont Alex Rübel. Alle interaktiven Angebote an den Besucher haben denn auch einen pädagogischen Anspruch, es geht nie nur um reine Unterhaltung. Im europaweiten Ranking des Zoo-Experten Anthony Sheridan hat entsprechend Zürich von allen untersuchten Zoos die höchste Punktzahl hinsichtlich Naturschutz und Bildungsanspruch erhalten.
Der dritte Punkt, in dem sich der Zoo Zürich von vielen anderen Kulturinstitutionen unterscheidet, ist das Selbstverständnis als Wirtschaftsunternehmen. Der Zoo hat den Anspruch, drei Viertel der jährlichen Betriebskosten aus eigener Kraft zu generieren und alle Bauprojekte über Sponsoring selbst zu finanzieren – eine überraschende Leistung angesichts der permanenten Ausbautätigkeit. Darüber hinaus investiert der Zoo in Naturschutz- und Forschungsprojekte. Es versteht sich von selbst, dass der Zoo bei allen Aktivitäten immer auch die Einnahmenseite berücksichtigt. Eine übermässige Kommerzialisierung ist dennoch nicht zu beobachten – bislang gelingt der Spagat zwischen Ökonomie und Inhalt. Und auch in der Bevölkerung geniesst der Zoo hohen Rückhalt: Im offiziellen Förderverein, der Tiergarten-Gesellschaft, engagieren sich 40 000 Menschen, 300 Personen arbeiten unentgeltlich im Freiwilligen-Team. 75 000 Zoo-Aktien sind im Umlauf.

WARUM ES SICH LOHNT
Der Zoo hat einen hohen pädagogischen Anspruch – letztlich versteht er sich als Schaufenster des Natur- und Artenschutzes weltweit. Mit dieser konsequent umgesetzten Strategie verfügt der Zoo Zürich bei internationalen Experten, aber auch bei Besuchern aus dem In- und Ausland über eine hohe Glaubwürdigkeit. Dies hilft ihm auch beim Sponsoring. Gleichzeitig sorgen die weitgehende wirtschaftliche Unabhängigkeit und die Rechtsform als Aktiengesellschaft dafür, dass der Zoo Zürich relativ frei gestalten und sein weltweites Engagement vorantreiben kann. Und dies stärkt wiederum die Marke «Zoo Zürich» – eine positive Rückkopplung und ein eindrücklicher Beleg für die Argumentation, dass ein hoher Qualitätsanspruch und wirtschaftlicher Erfolg auch für eine Kulturinstitution keine Widersprüche sein müssen.

Bernhard Ruetz: Ethisch. Nachhaltig. Erfolgreich. 
Zehn Schweizer Unternehmen und ihre Geschichten
Verlag Ars Biographica, Humlikon 2018. 
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