VETROPACK
Der Recycling-Pionier
WER VETROPACK IST
Champagner aus der PET-Flasche? Babybrei aus der Dose? Schwer vorstellbar. Für viele hochwertige Produkte ist Glas das Verpackungsmaterial der Wahl: Es bewahrt den Geschmack der Gewürzgurke, schützt den Duft von Parfum, macht Rotwein lagerfähig und hält die Konfitüre frisch. Es steht für Qualität, Sauberkeit und Nachhaltigkeit.
Die Vetropack Holding AG gehört zu den grössten Verpackungsglasherstellern Europas. Das Unternehmen mit Sitz in St-Prex wird von Bülach aus geleitet und produziert an acht Standorten: in der Schweiz, in Österreich, in Tschechien, in der Slowakei, in Kroatien, in der Ukraine und in Italien. 2016 beschäftigt die Unternehmensgruppe 3243 Mitarbeitende und erwirtschaftet einen Nettoerlös von 601,7 Millionen Franken. Vetropack wird 1911 vom Waadtländer Henri Cornaz als «Verrerie S.A. St-Prex» gegründet. Heute ist das Unternehmen, das 1966 den Namen Vetropack erhält, bereits in der vierten Generation in Familienbesitz. Bis Ende 2017 hat Claude Cornaz (56), der Urneffe des Gründers, die operative Leitung der Vetropack-Gruppe inne. 2018 übernimmt er das Präsidium des Verwaltungsrates. Als CEO folgt ihm Johann Reiter.
Der Recycling-Pionier Vetropack setzt bereits seit den 1970er-Jahren gebrauchte Glasverpackungen als Rohmaterial zur Produktion neuer Glasflaschen und Konservengläser ein – «wir waren schon immer nachhaltig.» Auch beim Aufbau der notwendigen Infrastruktur engagiert sich Vetropack bis heute über eine Tochtergesellschaft, die für alle Vetropack-Gesellschaften Dienstleistungen in den Bereichen Technik, Produktion und Informatik erbringt. Für ihr Recycling-Engagement haben Raymond und Jean-Daniel Cornaz, Vater und Onkel von Claude Cornaz, 1985 den Freiheitspreis der Max Schmidheiny Stiftung erhalten. «Unser Engagement fürs Glas-Recycling ist von jeher freiwillig», betont Claude Cornaz. Dies sei ein klassisches Beispiel dafür, dass nicht immer gesetzlicher Zwang notwendig sei, sondern auch über private Initiative gute und effiziente Lösungen herauskämen – oftmals sogar intelligentere als von staatlicher Seite.
Vetropack ist ein Unternehmen mit einer mehr als 100-jährigen Geschichte: Es geht auf den Waadtländer Unternehmer Henri Cornaz zurück. Der Bauernsohn aus Faoug am Murtensee wird 1869 als das dreizehnte von fünfzehn Kindern geboren. Nach der Schule arbeitet er zunächst als Knecht auf einem französischen Adelsgut. Diese Aufgabe bewältigt er so gut, dass seine Arbeitgeberin ihm eine Stelle als Verwalter anbietet. Doch der Ortsgeistliche vereitelt diesen Plan, weil Cornaz reformierten Glaubens ist. Also kehrt er zurück in die Schweiz, baut den väterlichen Bauernhof aus und errichtet parallel seine erste Zementfabrik. Ausserdem erstellt er als Bauunternehmer in Südfrankreich Eisenbahnlinien, Tunnels und Viadukte. Mit 37 Jahren kauft er einen grossen Bauernhof in Saint-Prex am Genfersee und beginnt dort 1911 mit der Glasfabrikation. Nach mühsamem Start stellt sich der Erfolg ein, Cornaz exportiert nach Frankreich, ist aber auch in der Deutschschweiz aktiv. So übernimmt er 1917 das Aktienkapital der Glashütte Bülach und gliedert die Fabrik der «Verrerie S.A.» an. Seine Neffen reorganisieren das Unternehmen erfolgreich und erweitern das Fabrikationsprogramm um die populären Konservengläser. Ab den 1960er-Jahren ist das Unternehmen der wichtigste Produzent von Verpackungsglas in der Schweiz. In den 1990er-Jahren wagt Vetropack einen Abstecher in die Produktion von PET-Flaschen, gibt dieses Geschäftsfeld aber nach relativ kurzer Zeit wieder auf – «es gab kaum Synergien», konstatiert Cornaz. Heute produziert die Vetropack AG in St-Prex im Waadtland Grünglas, als einzige Herstellerin in der Schweiz und wichtigste Lieferantin von Glasverpackungen für die inländische Getränke- und Lebensmittelindustrie.
2018 wechselt Claude Cornaz (links) ins Verwaltungsratspräsidium, als CEO folgt Johann Reiter.
WAS SIE ANTREIBT
Der unternehmerische Elan seines Urgrossonkels ist für Claude Cornaz Vorbild und Verpflichtung: Wie schon sein Vater hat auch er den Wirkungskreis von Vetropack ausgeweitet, zuletzt durch eine Akquisition in Italien. Dabei ist Claude Cornaz Glasproduzent aus Überzeugung: Glas ist für ihn ein nachhaltiges, hygienisches und elegantes Verpackungsmaterial. «Es hinterlässt weder Müllteppiche im Meer noch ist es wegen Abgabe von Fremdstoffen an den Inhalt in die Diskussion geraten», ergänzt die Vetropack-Kommunikationsverantwortliche Elisabeth Boner. Somit entspreche Glas dem Bedürfnis der Konsumenten nach Natürlichkeit und stehe für Qualität: «Deshalb wird natürliches Mineralwasser im Restaurant niemals in der Plastikflasche serviert und guter Wein niemals im Kombiblock.»
«Meine Motivation fürs Recycling: Ressourcen schonen und Abfall vermeiden.»
Claude Cornaz, langjähriger CEO
Eine weitere Stärke ist, dass sich Glas unendlich verwenden lässt, ohne an Qualität zu verlieren – es gibt kein «Downcycling» wie bei Papier oder Plastik. «Meine Motivation fürs Recycling ist ganz klar, die Ressourcen zu schonen und Abfall zu vermeiden», so Cornaz. Schliesslich liessen sich pro 10 Prozent Altglas 3 Prozent Energie und 7 Prozent CO2-Emissionen einsparen. In Europa werden jährlich 30 Milliarden Flaschen recycelt – und werden entsprechend nicht zu Müll. Gleichwohl ist der Recyclingprozess technisch anspruchsvoller als der Einsatz von frischem Rohmaterial. Denn recyclierte Scherben sind heterogener – etwa, wenn Keramik in den Glascontainer geworfen wurde. Diese hat einen höheren Schmelzpunkt als Glas. «Das bringt Instabilität in den Schmelzprozess und birgt die Gefahr von Fremdeinschlüssen im Glas.» Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass nicht alle Konsumenten das Glas sauber nach Farben sortieren. «Das spielt vor allem beim Weissglas eine Rolle, das sonst einen farbigen Schimmer annehmen würde. Grünglas ist weniger heikel», kommentiert Cornaz.
Der Schmelzprozess wird permanent optimiert.
WAS SIE ANDERS MACHEN
Während viele Unternehmen die Nachhaltigkeit erst in den vergangenen zehn Jahren für sich entdeckt haben, ist der sparsame Umgang mit den Ressourcen für Vetropack seit rund 50 Jahren eine Selbstverständlichkeit. Das Recycling steht niemals zur Debatte. Ebenso ist es für Claude Cornaz keine Frage, dass alle Produktionsstätten punkto Umweltschutz und Energiesparen denselben hohen Standard haben müssen. Dieser ist nach jahrzehntelangen Optimierungen mittlerweile so gut, dass man beim Effizienzgewinn «an den letzten Prozenten schraubt». Ein grosses Thema für noch mehr Nachhaltigkeit ist das Leichtglas, denn jedes eingesparte Gramm bedeutet, dass auch weniger Energie investiert wurde. Gleichzeitig wird beim Transport weniger Energie verbraucht – und der Käufer kann die Flasche leichter heimtragen. Andererseits gibt es Kunden, die bewusst auf schweres Glas setzen, weil viele Konsumenten das mit Hochwertigkeit gleichsetzen. Ein Beispiel dafür sind Champagnerflaschen.
Im Vergleich der europäischen Standorte gibt es vor allem im Umgang mit Altglas grosse Unterschiede: «Die Sammelquote ist in der Schweiz, in Deutschland, Österreich und Holland massiv höher als etwa in Bulgarien oder Griechenland. » Deshalb haben einige Tochtergesellschaften Aufklärungskampagnen lanciert und stellen Schulmaterial zur Verfügung, welches die Kinder für die Bedeutung von Abfallvermeidung sensibilisiert. Gleichzeitig fällt Cornaz ein Trend auf, der für eine steigende Bedeutung von Verpackungen aus Glas spricht: In vielen mitteleuropäischen Volkswirtschaften mit hohem Lebensstandard leben mehr und mehr «LOHAS», Menschen mit einem «Lifestyle of Health and Sustainability, die auf Natürlichkeit, nachhaltige Herstellung und umweltgerechte Verpackung achten». Sie sind typische Kunden für Produkte in Glasverpackungen. Sie haben eine gute Ausbildung, aber auch ein gutes Einkommen und kaufen ihren regionalen Joghurt im Gläschen, ebenso die Babynahrung oder ihren Bio-Fruchtsaft in der Glasflasche.
«Nachhaltigkeit beschränkt sich bei Vetropack nicht auf die Produktionsmethoden », erläutert Elisabeth Boner: «Sustainability bedeutet für uns auch, einen fairen Umgang mit unseren Mitarbeitern zu pflegen. Wir achten beispielsweise auf eine ausgewogene Altersstruktur und stellen durchaus auch ältere Leute ein.» Als traditionelles Familienunternehmen sei Vetropack attraktiv für hoch qualifizierte Mitarbeiter, so Cornaz: «Sie wollen nicht mehr alle drei Jahre einen neuen Eigentümer mit neuen Strategien, sondern langfristig für eine Sache arbeiten, von der sie überzeugt sind.» Diese Kultur versucht er, auch bei den Akquisitionen zu vermitteln. Vetropack lagert nicht ihre Produktion in Länder mit niedrigeren Lohnkosten aus, sondern modernisiert bestehende Werke, welche auf den lokalen Märkten aktiv sind. Deren Kundenbeziehungen pflegt Vetropack sorgfältig. Und auch die Mitarbeiter der akquirierten Werke schätzt Claude Cornaz wert: «In Italien habe ich die Arbeiter überrascht, weil ich als Patron mit in die Produktion gekommen bin und mich dann noch ausgekannt habe. Als ich auf den Schmelzofen geklettert bin und bis in die letzte Ecke die Produktion angeschaut habe, waren sie total verblüfft.»
WARUM ES SICH LOHNT
Vetropack ist wirtschaftlich erfolgreich unterwegs und konnte für die erste Jahreshälfte 2017 mit 2,58 Milliarden Einheiten erneut einen Verkaufsrekord ausweisen. «Wir glauben, dass Glas als Verpackungsmaterial weiter an Bedeutung gewinnt, mehr und mehr Leuten ist der Umwelt- und Ethikgedanke etwas wert. Sie sind bereit, Glas zur Sammelstelle zu bringen, und üben auch als Konsumenten zunehmend auf die Hersteller Druck aus», so die Prognose von Claude Cornaz. Insgesamt hat er den Eindruck, dass der Trend weggeht vom schnellen Verbrauch zur längeren Nutzung – «Qualität und Langlebigkeit bekommen einen neuen Stellenwert. » Für Vetropack ist Nachhaltigkeit genauso wichtig wie wirtschaftlicher Erfolg, sagt Claude Cornaz. «Aber das gilt auch umgekehrt. Denn ohne Gewinn bleibt die Ökologie früher oder später auf der Strecke.»
Bernhard Ruetz: Ethisch. Nachhaltig. Erfolgreich.
Zehn Schweizer Unternehmen und ihre Geschichten
Verlag Ars Biographica, Humlikon 2018.
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