SWISS RE
Nachhaltiges Risikomanagement als Geschäftsprinzip
WER SWISS RE IST
Eine Katastrophe wird zum Auslöser für die Gründung von Swiss Re im Jahr 1863: Während eines Föhnsturms kommt es 1861 zum katastrophalen Grossbrand in Glarus. Zwei Drittel der Häuser brennen ab, insgesamt sind 763 Haushalte betroffen. Die Schadenssumme beträgt gemäss konservativer Schätzung des damaligen Gemeindepräsidenten von Glarus 10 Millionen Franken – in dieser Zeit ein immenser Betrag. Doch die zuständige Kantonale Gebäudeversicherung vermag lediglich 250 000 Franken aus ihren Reserven bereitzustellen. Den überwiegenden Teil der Schäden trägt der Kanton Glarus, der sich dafür bei der Eidgenossenschaft verschulden muss. Dies zeigt eindrucksvoll die Defizite der damaligen Gebäudeversicherungen auf – und beweist die Notwendigkeit für eine schweizerische Rückversicherung.
Somit führt der Brand von Glarus nicht nur zur Gründung verschiedener Privatversicherungen, sondern gibt auch den Anstoss, eine Rückversicherung unter Beteiligung der Schweizerischen Kreditanstalt (heute Credit Suisse), Helvetia Versicherung und Basler Handelsbank ins Leben zu rufen. Die treibende Kraft dahinter ist der damalige Helvetia-Direktor Moritz Ignaz Grossmann. So entsteht 1863 die Schweizerische Rückversicherungs-Gesellschaft, heute als Swiss Re der zweitgrösste Rückversicherer weltweit.
2013 hat das Unternehmen sein 150-Jahr-Jubiläum gefeiert. Der internationale Versicherer mit Sitz in Zürich generiert 2016 rund 33,2 Milliarden US-Dollar Prämieneinnahmen und einen Gewinn von 3,6 Milliarden US-Dollar. Neben Rückversicherungen bietet Swiss Re auch Erstversicherungslösungen für Firmen an. Ihre Kunden sind Versicherungsgesellschaften, mittlere bis grosse Unternehmen und der öffentliche Sektor. Die Swiss Re-Gruppe beschäftigt knapp 13 000 Mitarbeitende an rund 80 Standorten weltweit. In der Schweiz gilt Swiss Re als attraktiver Arbeitgeber, in der Universum-Studie liegt das Unternehmen stets klar vor den anderen Versicherern. Ausserdem ist Swiss Re im Ranking des Think Tanks «Ethisphere» sieben von zehn Mal als eines der ethischsten Unternehmen der Welt nominiert worden.
Swiss Re positioniert sich als «Risk Knowledge Company», also als Unternehmen, das verschiedenste Risiken und ihre ökonomischen Folgen besonders gut versteht. Das gilt auch für die schwer zu kalkulierenden Folgen von Umweltschäden oder von neuen Technologien wie Gentechnik, Nanotechnologie oder künstliche Intelligenz. Durch ihre Versicherungsprämien gibt Swiss Re diese Risikoeinschätzung als Preissignal an ihre Kunden weiter und wirkt dadurch in gewisser Weise auch lenkend. Deshalb hat das Risk Management von jeher bei Swiss Re einen hohen Stellenwert.
Martin Weymann, Leiter Group Sustainability, Political and Emerging Risk bei Swiss Re.
WAS SIE ANTREIBT
Martin Weymann arbeitet seit 2017 bei Swiss Re als Leiter «Group Sustainability, Political and Emerging Risk» – und zwar als «Überzeugungstäter »: Seit seiner Jugendzeit beschäftigt ihn die Frage, wie sich Ökonomie und Ökologie vereinen lassen. Die Atomkatastrophe von Tschernobyl, der Chemieunfall in Schweizerhalle und der sichtbare Rückgang der Schweizer Gletscher haben seine Jugendzeit in den 1980er- und frühen 90er-Jahren geprägt. Als Gymnasiast organisiert er in einer Schülergruppe Sponsoringaktivitäten, um eine Solaranlage für das Schulhausdach zu finanzieren. Er studiert Umweltnaturwissenschaften an der ETH und erforscht für seine Diplomarbeit Gletschereis aus Grönland, auch eine wissenschaftliche Karriere hätte ihn gereizt. Doch er entscheidet sich für die Wirtschaft und arbeitet seit 2002 für Swiss Re, zunächst im Nachhaltigkeitsteam, dann im Versicherungsgeschäft für Grossrisiken, später am «Institute of International Finance» in Washington und schliesslich in Brasilien, wo er das Risk Management für Lateinamerika aufbaut.
«Die Klimaentwicklung hat einen grossen Einfluss auf unser Geschäft als globaler Rückversicherer», erläutert Weymann. Denn mit steigenden Temperaturen erhöht sich auch die Frequenz und Intensität von Überschwemmungen, Stürmen oder Hagelzügen – und das hat wiederum Einfluss auf die Schadenszahlungen für Swiss Re. Deshalb ist es überlebenswichtig, dass das Unternehmen die Risiken von solchen wetterbedingten Schadensereignissen realistisch berechnen kann. Entsprechend beschäftigt sich Swiss Re schon seit Ende der 1980er-Jahre mit dem Klimawandel. Seit das Klima systematisch gemessen wird – 1880 –, sind die durchschnittlichen Temperaturen weltweit um 0,85 Grad Celsius angestiegen. Und die Auswirkungen sind spürbar: Swiss Re veröffentlicht jährlich den sogenannten Sigma-Bericht zu Naturkatastrophen. Dieser verzeichnet für das Jahr 2016 weltweit 191 grosse Naturkatastrophen, das sind viermal mehr als noch in den 1970er- Jahren. Stürme, Fluten oder Dürren, die typischen Boten einer Klimaerwärmung, scheinen also wahrscheinlicher und intensiver zu werden. Zumindest haben sie in einer zunehmend dicht besiedelten und industrialisierten Welt deutlich häufiger katastrophale Folgen.
«Anfangs mussten wir die Öffentlichkeit überzeugen, dass sich das Klima tatsächlich verändert.»
Martin Weymann, Swiss Re
«Anfangs mussten wir die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass sich das Klima tatsächlich verändert und ein Grossteil der Änderung menschengemacht ist. Heute ist es unser Anliegen, die Welt widerstandsfähiger zu machen gegen Klimaereignisse», so Martin Weymann. Swiss Re bietet deshalb spezifische Lösungen an, beispielsweise für Regierungen oder Windenergiefirmen. Ausserdem sind die Erkenntnisse zum Klimawandel ins Risikomanagement eingeflossen und somit Teil des täglichen Geschäfts geworden. Beim nachhaltigen Risikomanagement geht es jedoch nicht nur um Umweltthemen, sondern auch um andere Aspekte wie Menschenrechte und faire Arbeitsbedingungen.
Recherchen vor Ort: ein Wasserkraftwerk in den USA.
WAS SIE ANDERS MACHEN
Seit 2009 hat Swiss Re ein systematisches Sustainability Risk Framework implementiert. Darüber hinaus verwendet Swiss Re seit 2015 im Rahmen des Risikomanagements das im Versicherungsgeschäft integrierte Online-«Sensitive Business Risk Assessment Tool». Dieses unterstützt weltweit die Risikoexperten und Underwriter in ihrem Entscheidungsprozess, ob Swiss Re neue Geschäfte abschliesst oder nicht. Dabei fliessen die Prinzipien und Verhaltensregeln von Swiss Re ebenso ein wie umfangreiche externe Informationen, seien es politische Analysen oder Medienberichte. Auch Wissenschaftler sowie unabhängige NGOs haben Anregungen für die Entscheidungskriterien gegeben, berichtet Weymann: «Wir haben abgewägt zwischen ökonomischen Interessen, ethischen Interessen, Umweltinteressen und sozialen Interessen.»
Im Vorfeld eines Versicherungsabschlusses wird geprüft, ob es sich um ein niedriges, ein mittleres oder ein hohes Risiko aus Nachhaltigkeitssicht handelt. Nur im Hochrisikobereich kommt das Team von Weymann zum Einsatz und gibt eine bindende Empfehlung ab, ob eine Versicherung abgeschlossen werden kann oder nur unter Auflagen. Alle anderen Fälle regeln die Risikoexperten dezentral. In einigen Fällen treten die Vertreter von Swiss Re in einen Dialog mit dem Kunden und versuchen ihn zu bewegen, nachhaltiger zu handeln: «Das sind intensive und schwierige Gespräche, aber auch gute Diskussionen. Sie können zu einem langfristig gestärkten Kundenverhältnis führen», kommentiert Weymann. Allerdings gibt es eine Liste von Staaten, in denen Swiss Re prinzipiell kein Geschäft zeichnet. Hier geht es um lokale Umwelt-Standards, die Menschenrechtssituation und die Frage, ob es überhaupt eine stabile Regierung gibt.
In der Vergangenheit hat das Nachhaltigkeits-Team sensitive Transaktionen zumeist erst kurz vor Vertragsabschluss geprüft – «das hat intern immer wieder für Konflikte gesorgt.» Mittlerweile ist es in der Regel früher involviert und wirkt bereits in den strategischen Diskussionen darauf hin, in gewissen Bereichen aktiver zu sein und in anderen weniger: «So kommt man erst gar nicht in eine Grauzone.» Nachhaltigkeit ist für Weymann und die Swiss Re nicht verhandelbar. Selbstverständlich lassen sich die ethischen Folgen von geschäftlichen Transaktionen nie vollständig voraussehen, gerade bei neuen Technologien: «Man muss versuchen, die negativen Auswirkungen so weit wie möglich zu erkennen und zu minimieren.»
Mit ihren Ethikstandards ist Swiss Re in mehreren Fällen der nationalen Gesetzgebung um Jahre voraus, z.B. beim Fracking oder beim Waffenhandel. Es ist aber nicht das Ziel, als einsames, leuchtendes Beispiel dazustehen. Vielmehr strebt das Unternehmen danach, seine Prinzipien zu einem Industriestandard zu machen. Weymann beobachtet, dass es gerade im Umweltbereich immer mehr staatliche Regulierungen gibt. Insgesamt sieht sich Swiss Re aber gut gerüstet für die wachsenden Anforderungen: «Wir haben zahlreiche Entwicklungen im Bereich Nachhaltigkeit früh erkannt und freiwillig mitgeprägt. Wir verfügen über grosse Erfahrung und haben mit Anspruchsgruppen über Jahre einen aktiven Dialog aufgebaut.»
WARUM ES SICH LOHNT
«Sustainable business is good business» lautet das Credo von Swiss Re. Und das ist nicht nur ethisch, sondern auch ökonomisch zu verstehen:
Erstens ist Nachhaltigkeit für Swiss Re eine Notwendigkeit, sagt Martin Weymann: «Wir müssen als Versicherer ein Verhalten an den Tag legen, das langfristig gewinnbringend und ethisch vertretbar ist – nicht nur unseren Kunden und Aktionären, sondern auch der Gesellschaft gegenüber. Nur so haben wir auf Dauer eine Existenzberechtigung und können auf gesellschaftliche Unterstützung zählen. » Das nachhaltige Risikomanagement ist ein wichtiger Baustein, um diese Glaubwürdigkeit von Anfang an sicherzustellen.
Zweitens bedeutet nachhaltiges Risk Management auch, dass man künftige Schäden vermeidet, so berichtet Martin Weymann: «Natürlich kann jedem Unternehmen etwas passieren. Aber ganz häufig gibt es eine erstaunlich hohe Korrelation zwischen guter Unternehmensführung und tiefer Schadensbilanz.» Ein Unternehmen etwa, das proaktiv sicherstellt, dass seine Produkte weniger umweltschädlich und sozial verträglich sind, sei nicht nur ein ethischeres Unternehmen, sondern wird erfahrungsgemäss auch einem tieferen Risikomass zugeordnet.
Drittens hat sich aus dem Fokus auf Nachhaltigkeit für Swiss Re ein breites Tätigkeitsfeld entwickelt. Das Unternehmen bietet Versicherungen für erneuerbare Energien an, die in Europa und den USA erfolgreich sind. Produkte für staatliche und supranationale Institutionen bietet Swiss Re zum Beispiel für Naturkatastrophen an, um die Resilienz von Gesellschaften in solchen Extremsituationen zu stärken. Mikroversicherungen sind ein Business in Afrika und Indien, und mit ihren Wetterversicherungen zeichnet Swiss Re auf der ganzen Welt Geschäft. «Auf diese Weise tragen wir dazu bei, die Folgen des Klimawandels abzufedern – und wir eröffnen uns attraktive Geschäftsperspektiven.»
Viertens ist nachhaltiges Handeln auch für die Mehrheit der Investoren wichtig: 50 Prozent von ihnen haben die «UN-Principles for Responsible Investment» unterschrieben und 6 Prozent sind sogar Core-Sustainability-Investoren. Ausserdem gilt: «Nachhaltigkeits-Shareholder sind die treueren», wie Martin Weymann erzählt. Dazu passt, dass Swiss Re seit 2017 systematisch soziale und ethische Aspekte bei den Geldanlagen berücksichtigt.
Schliesslich stärkt das Engagement für Nachhaltigkeit die Marke Swiss Re. Und das zahle sich aus, urteilt Weymann. «Wir profitieren, weil das Vertrauen der Gesellschaft in uns steigt. Und auch unsere Mitarbeitenden sind stolz, in einem Unternehmen zu arbeiten, in dem Ethik einen hohen Stellenwert geniesst.»
Bernhard Ruetz: Ethisch. Nachhaltig. Erfolgreich.
Zehn Schweizer Unternehmen und ihre Geschichten
Verlag Ars Biographica, Humlikon 2018.
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