INVETHOS

Geldanlage mit ethischem Mehrwert

WER INVETHOS IST
Was geschieht, wenn ein Rechtsanwalt und ein Theologe aufeinandertreffen? Im Fall von Marc Baumann und Lukas Stücklin wird eine Firma gegründet: Sie heisst Invethos, hat ihren Sitz in Bern und sieht sich als Erneuerin in der Finanzbranche. Dazu gehört, dass sie Vermögensverwaltungsdienstleistungen anbietet, die auf den folgenden drei Grundsätzen beruhen. Die Beratungshonorare sind aufwandsgebunden, Invethos nimmt für die empfohlenen Lösungen keine Retrozessionen an und verwaltet werden nur steuerlich deklarierte Vermögenswerte. Dabei bietet Invethos neben der Vermögensverwaltung auch noch Rechts- und Steuerberatung an. Ausserdem informiert das Unternehmen seine Kunden über die Möglichkeiten von Impact Investments, also Anlagemöglichkeiten mit ethischem Mehrwert. Was es hingegen ablehnt, ist der kurzfristig orientierte Handel mit komplexen Wertpapierkonstrukten – denn das passt nicht zu seiner Wertehaltung.
Marc Baumann stammt aus einer Familie, in der unternehmerische Werte hochgehalten werden. Dazu passt, dass seine Eltern ihm während der Schulzeit das notwendige Kapital zur Verfügung stellen und ihm den Zugang zu einer CNC-gesteuerten Produktionsstrasse ermöglichen, damit er eigene Rollbretter produzieren und verkaufen kann. Nach dem Abschluss seines Jurastudiums arbeitet er für den Schweizerischen Bankverein (heute UBS) im Bereich Financial Planning. 1999 wechselt er zur Berner Privatbank Armand von Ernst & Cie. AG, die damals zur UBS-Gruppe gehört, und bekleidet als Mitglied der Geschäftsleitung verschiedene Funktionen. Nach dem Verkauf an die Bank Julius Bär im Jahr 2006 entschliesst er sich, dem wechselvollen Leben in der Grossbankenwelt mit ihren Restrukturierungen und moralischen Zielkonflikten den Rücken zu kehren und sich selbstständig zu machen. In Lukas Stücklin findet er den geeigneten Partner und einen weltanschaulichen Gesinnungsgenossen: Stücklin stammt aus einer Pfarrersfamilie, studiert an der Universität Bern Theologie und Betriebswirtschaft und geht anschliessend in die Wirtschaft. Christlicher Glaube und Wirtschaft gehören für ihn zusammen. Bei der UBS arbeitet Stücklin im Bereich «Philanthropy Services» und erkennt im Mission Related Investment viel Potenzial und mehr als nur eine Gewissensbereinigung für ansonsten renditeorientierte Anleger. Doch im Produktekorsett der Grossbank fühlt Stücklin sich nicht wohl und besinnt sich ebenfalls auf einen eigenständigen Weg. Und so finden sich Marc Baumann und Lukas Stücklin. Gemeinsam formulieren sie die Grundsätze von Invethos und rufen das Unternehmen mit dem Eintrag ins Handelsregister am 6. März 2009 offiziell ins Leben. Heute beschäftigt Invethos 14 Mitarbeitende, fünf davon sind Partner.

Die Invethos-Gründer Marc Baumann und Lukas Stücklin.

WAS SIE ANTREIBT
Die Gründungsidee von Invethos geht auf das Frühjahr 2008 zurück, also just in die Zeit, als sich die Banken- und Finanzkrise in den USA akzentuiert. Die Insolvenz der amerikanischen Bank Lehman Brothers löst wenig später ein globales Finanzbeben aus, dessen Erschütterungen bis heute zu spüren sind. Dass es ein Leben jenseits von überhöhten prozentualen Vergütungen im Bankenbereich gibt, davon sind Marc Baumann und Lukas Stücklin überzeugt. Die Schweiz habe schliesslich einst ein kräftig ausgebildetes, klassisches Bankenwesen gehabt, welches in der Mitte der Gesellschaft verankert gewesen sei und in Bezug auf Strategie und Löhne Mass gehalten habe. Erst in jüngerer Zeit habe dieses massiv an Bedeutung verloren; nicht zuletzt durch das forsche Vordringen des angelsächsisch geprägten Investmentbankings, welches auch in der Schweizer Bankenwelt den Takt vorgab. Marc Baumann und Lukas Stücklin sind eine Zeit lang ebenfalls Teil dieser gut geschmierten globalisierten Finanzindustrie und können das, wie sie sagen, «kurzfristige und werteverzerrende finanzielle Anreiz- und Belohnungssystem» aus nächster Nähe beobachten. Dieses habe aber letztlich alle voneinander entfremdet: Berater und Kunde, Investor und Unternehmen, Mitarbeiter und Management, Bürger und Banken. Solche Gräben hätten zur moralischen Korrumpierung und Stigmatisierung einer ganzen Branche beigetragen und auch die Widerstandskräfte gegen gesetzliche Regulierungen und Auflagen geschwächt. Angesichts dieser Malaise wollen die Gründer mit Invethos einen Kontrapunkt in der Branche setzen: Investment und Ethos, Vermögensverwaltung und Werte, Rendite und soziale Verantwortung, dies sind für sie keine Gegensatzpaare, sondern vielmehr tragende Säulen einer freien Gesellschaft. Deshalb wollen die Invethos-Mitarbeitenden Berater im guten und herkömmlichen Sinn des Wortes sein, fair, berechenbar und neutral im Dienste des Kunden. Sie setzen dabei grundsätzlich auf Unternehmen, deren Geschäftsmodell sie nachvollziehbar finden – entsprechend liegt der Fokus auf Direktanlagen. Fonds empfehlen sie ihren Kunden vornehmlich dann, wenn diese schwer zugängliche Nischen abdecken, etwa bei erneuerbaren Energien.

«Wir wollen einen Kontrapunkt in der Branche setzen.»

Lukas Stücklin, Mitbegründer

WAS SIE ANDERS MACHEN
Neben dem Geschäftsmodell, welches auf Transparenz und Unabhängigkeit basiert, unterscheiden sich die Invethos-Gründer von der klassischen Vermögensverwaltung auch dadurch, dass sie ihren Kunden eine Vielzahl von ethischen Anlagemöglichkeiten anbieten. Das können z.B. Unternehmen sein, die günstige Medikamente produzieren oder in armen Ländern Basisprodukte wie einfache Kühlschränke auf den Markt bringen. Innovative soziale Investments sind indes nicht nur in den Schwellenländern möglich, sondern auch hierzulande: Der erste Schweizer «Social Impact Bond» ist eine Anlage, welche Invethos 2015 mitlanciert hat: Dabei geht es darum, die Eingliederung von anerkannten Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt zu fördern. Sofern die Projektpartnerin Caritas eine zuvor festgelegte Eingliederungsquote erreicht oder überschreitet, erhält sie einen Bonus und auch der Anleger profitiert von einer Rendite zwischen 0,25 und maximal 5 Prozent. Wenn die vereinbarten Ziele jedoch nicht erreicht werden, erleiden die Anleger einen Verlust von maximal 4,9 Prozent und die Caritas muss einen Malus an den Kanton Bern ausrichten. Dieses System bietet marktwirtschaftliche Anreize für eine effiziente Eingliederungspolitik, die sich auch an den Bedürfnissen der Migranten orientiert. Bei der Impact Immobilien AG setzen die Invethos-Gründer ihre eigene Philosophie konkret um und kaufen Immobilien, die sie langfristig an soziale Einrichtungen vermieten. In ihren Häusern leben dann beispielsweise psychisch Beeinträchtigte, Autisten oder Pflegebedürftige.
Die Kunden von Invethos sind primär Schweizer Privatleute, grössere Institutionen und Stiftungen. Ein Teil der Kunden legt grossen Wert auf ethische Anlagen, ein anderer Teil ist einfach vom Invethos-Geschäftsmodell überzeugt. Eine typische Beratungssituation kann sein, dass eine Stiftung in ihren Satzungen Ausschlusskriterien für Investments definiert hat und Invethos bittet, satzungsgemässe Anlagemöglichkeiten zu finden: Nun gilt es, z.B. Unternehmen zu eruieren, welche auch bei ihren Zulieferern weltweit sicherstellen, dass weder ausbeuterische Arbeitsbedingungen noch Kinderarbeit stattfinden. Konstruktive Diskussionen mit den Kunden über Investitionskriterien gehören dabei zum unternehmerischen Alltag – dann geht es vielleicht darum, ob in einen Grossverteiler investiert werden darf, der auch Alkohol im Angebot hat, oder in ein Unternehmen, das genmanipulierte Lebensmittel verarbeitet. «Wir freuen uns sehr, wenn unsere Kunden proaktiv an Themen wie Armutsbekämpfung oder anderen sozialen Themen interessiert sind. Selbstverständlich betreuen wir auch Kunden, bei denen primär Renditeüberlegungen im Vordergrund stehen, finden jedoch, dass undurchschaubare Produkte selten einen Mehrwert bieten», verrät Marc Baumann. Lieber beraten sie für Direktinvestitionen, beispielsweise in nicht börsenkotierte Schweizer Unternehmen. Diese nehmen sie durchaus unter die Lupe, bevor sie ein Investment empfehlen. Invethos ist dank des Beratungsansatzes nicht auf Transaktionen angewiesen und kann alle Möglichkeiten ausloten bis zum Nicht-Investieren.
Speziell ist an den Invethos-Gründern darüber hinaus, dass sie ordnungspolitisch klare Positionen beziehen und ihre liberalen Überzeugungen pointiert äussern. Ausserdem machen sie sich tiefere Gedanken über die sittlich-moralischen Grundlagen des Geldwesens. Beispielsweise haben ihre Kunden als Präsent zu Weihnachten ein vom Invethos-Team verfasstes Büchlein mit dem Titel «Schuldenschnitt! Gedanken zu Geld, Schuld und Verantwortung» erhalten, zusammen mit einer hochwertigen Victorinox-Schere. Gemäss der Analyse von Baumann und Stücklin hat sich der Finanzmarkt seit der Aufhebung der festen Wechselkurse 1973 globalisiert, um die sinkenden Wachstumsraten zu kompensieren: Die Banken hätten immer mehr Produkte entwickelt, die es an den Kunden zu bringen galt. Doch die scheinbare Beratung sei in Wirklichkeit eine Produktedurchdringung gewesen, um die Margenerosion zu kompensieren und den Ertrag zu steigern. Dabei sei die Abstraktion und Geschwindigkeit immer grösser geworden; die Subprime-Krise ab 2007 sei nur die Spitze des Eisbergs einer kompletten Entfremdung zwischen Banken und Kunden gewesen. Die nächste Krise komme bestimmt, sind die Invethos-Gründer überzeugt: Das aktuelle Tiefzinsumfeld und das Drucken von Geld durch die Notenbanken verursache ein moralisches Dilemma. Es stelle grundlegende Werte wie Kredit, Vertrauen, Schuld und Vergebung auf den Kopf und mache das Geld wertlos. Auch die Rettung von Grossbanken habe zu einer Korrumpierung geführt; zumal die faktische Sicherheit, dass eine Bank nicht in Konkurs gehen könne, zum Eingehen von unverhältnismässigen Risiken verleiten könne.

Die Impact Immobilien AG vermietet Immobilien an soziale Einrichtungen.

WARUM ES SICH LOHNT
Invethos sieht im Zins ein wichtiges Verantwortungsinstrument. Gleichwohl werden Anleger bei Invethos keine Phantasierenditen um jeden Preis realisieren, denn Renditemaximierung ohne Rücksicht auf Verluste kann für Stücklin und Baumann niemals das einzige Anlagekriterium sein. Was Invethos-Anlegern jedoch nie passieren dürfte: Dass sie mit einem undurchschaubaren Produkt auf die Nase fallen, weil sie in ein virtuelles Vehikel investiert haben, dessen Entwicklung weder sie noch der Berater richtig nachvollziehen können. Invethos-Anleger müssen sich nicht mit grosszügigen Spenden von moralisch zweifelhaften Geldanlagen freikaufen, sondern können gleich so investieren, dass neben der finanziellen Rendite auch inhaltliche Erfüllung erreicht wird. Dank der aufwandsbasierten Beratung gibt es keine Zielkonflikte zwischen den Bedürfnissen des Kunden und dem Wunsch des Beraters nach einer hohen Provision. In der aktuellen Zinssituation, in der klassische Obligationen oft negativ verzinst sind, sind die Angebote von Invethos auch aus Renditesicht interessant. Angesichts der aktuellen Tiefzinsphase treten die Stärken des Invethos-Ansatzes umso deutlicher hervor. Marc Baumann und Lukas Stücklin können die Entwicklung des Finanzmarktes nicht umkehren – aber sie setzen mit Invethos ein Zeichen, dass es auch anders möglich ist.

Bernhard Ruetz: Ethisch. Nachhaltig. Erfolgreich. 
Zehn Schweizer Unternehmen und ihre Geschichten
Verlag Ars Biographica, Humlikon 2018. 
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