BLUEORCHARD
Mit Mikrokrediten Armut bekämpfen
WER BLUEORCHARD IST
Laut offiziellen Zahlen der Vereinten Nationen müssen knapp 800 Millionen Menschen weltweit mit weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag auskommen. Obwohl die Zahl der Ärmsten weltweit absolut und relativ gesunken ist – von 28 Prozent im Jahr 1999 auf 11 Prozent im Jahr 2013 – bleibt das Thema prioritär. So steht die Bekämpfung der Armut in der Liste der UNO-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung von 2015 auf Platz eins. Während in Südostasien der Anteil armer Menschen seit der Jahrtausendwende massiv zurückgegangen ist, leben im südlichen Afrika nach wie vor 42 Prozent der Bevölkerung in extremer Armut. Wie tödlich das sein kann, lässt sich auch an der Sterberate für Kinder unter fünf Jahren erkennen: Sie liegt im Afrika der Subsahara bei 84 Todesfällen auf 1000 Geburten – und damit 20 Mal höher als in der Schweiz. Im Saldo sterben gemäss Schätzungen weltweit täglich 18 000 Kinder direkt oder indirekt an den Folgen von Armut.
Diese Fakten sind schwer auszuhalten, zumal die Armut in den meisten Fällen menschengemacht ist und politische Ursachen hat. Deshalb ist es ein Grundproblem von interstaatlicher Entwicklungszusammenarbeit, dass sie Gefahr läuft, korrupte Regime zu stabilisieren, anstatt den Bedürftigen zu helfen. Der äthiopisch-deutsche Unternehmensberater und Autor Asfa-Wossen Asserate kommt 2016 in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sogar zu dem Schluss, drei Viertel der vom Westen geleisteten Entwicklungsgelder in Afrika seien an korrupte Eliten gegangen.
Eine marktwirtschaftliche Alternative ist es, gezielt Einzelpersonen in armutsbetroffenen Ländern zu unterstützen, und zwar nicht mit Transferleistungen, sondern durch Investitionskredite. Diesen Ansatz der «Mikrokredite» kennt eine breite Öffentlichkeit, seit der bengalische Wirtschaftswissenschaftler Muhammad Yunus 2006 für sein Engagement den Friedensnobelpreis erhalten hat. Das Unternehmen BlueOrchard verfolgt diese Idee bereits seit knapp zwei Jahrzehnten. Heute ist BlueOrchard eine der weltweit führenden Vermögensverwalterfirmen im Bereich Impact Investment mit Büros in der Schweiz, in Luxemburg, Peru, Kenia, Georgien und Kambodscha und beschäftigt über 70 Mitarbeitende. Das Unternehmen arbeitet mit Banken und Mikrofinanzinstitutionen in Entwicklungs- und Schwellenländern zusammen, welche wiederum die Mikrokredite an die Endkunden vergeben. Bei BlueOrchard investieren viele institutionelle Kunden wie Pensionskassen, Versicherungen oder Banken. Die privaten Investoren kommen vor allem aus der Schweiz und Europa, den USA und Singapur, zunehmend aber auch aus Hongkong, Japan und Australien oder den Entwicklungsländern selbst.
Auch dank BlueOrchard hat sich die Schweiz zur Hauptdrehscheibe der Mikrofinanz weltweit entwickelt. Und der Bereich hat nach wie vor viel Potenzial: Bis zur Erreichung der UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2025 klafft laut den Vereinten Nationen in Entwicklungs- und Schwellenländern eine Investitionslücke von rund 2,5 Billionen US-Dollar jährlich.
Patrick Scheurle ist CEO von BlueOrchard.
WAS SIE ANTREIBT
Patrick Scheurle, seit 2015 CEO von BlueOrchard und zuvor mehrere Jahre COO des Unternehmens, hat an der Universität St. Gallen Finanzwesen studiert und auch in diesem Bereich doktoriert. Anschliessend hat er für die Bank Vontobel und für Credit Suisse gearbeitet. Ihn reizt die Mikrofinanz, weil sie an der Schnittstelle von internationalem Finanzwesen, Entwicklungsökonomie und Asset Pricing intellektuell sehr herausfordernd sei. Auch theoretisch hat er sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt, zum Beispiel in dem Buch «Small Money, Big Impact», das er gemeinsam mit dem ehemaligen CEO und heutigen VR-Präsident von BlueOrchard, Peter Fanconi, geschrieben hat.
Doch Patrick Scheurle geht es vor allem um die praktischen Folgen der Kreditvergabe: «Wir wollen den Menschen den Weg in ein besseres Leben finanzieren. » Ihn erstaune immer wieder, was die Mikrokreditkunden selbst mit kleinsten Geldbeträgen bewegen könnten: «Plötzlich haben sie Angestellte und schicken ihre Kinder in die Schule.» Deshalb erhofft er sich, dass noch mehr Menschen im Bereich Impact Investment Geld anlegen. Für ihn ist die Mikrofinanz ein sehr gutes Instrument, um Entwicklungszusammenarbeit mit einem Marktmechanismus zu verbinden, die Anreize richtig zu setzen und Menschen zu ermöglichen, ihre Zukunft selbstbestimmt zu gestalten. Aus Sicht von Patrick Scheurle ist humanitäre Hilfe in Krisensituationen, beispielsweise nach Erdbeben oder Bürgerkriegen, nach wie vor wichtig und sinnvoll. Aber wenn es darum gehe, langfristig etwas aufzubauen und ein nachhaltiges Wirtschaftssystem zu fördern, dann sei Mikrofinanz aus seiner Sicht der reinen Entwicklungshilfe überlegen.
«Wir wollen den Menschen den Weg in ein besseres Leben finanzieren.»
Patrick Scheurle, CEO
Andererseits, so Patrick Scheurle, würden die Rahmenbedingungen für Mikrokredite schwieriger, wenn sehr viel Geld von NGOs oder staatlichen Hilfsorganisationen ins Land fliesse: «Da kann es durchaus zu Spannungsfeldern kommen. In Afrika würden wir beispielsweise gerne mehr machen. Aber in gewissen Ländern gibt es so viele Entwicklungsgelder, dass marktgerechte Mikrokredite für die Menschen vor Ort kaum noch interessant sind.» Dabei sei das geschenkte Geld, so seine Beobachtung, für die Empfänger der Transferleistung weniger wertvoll als Mittel aus einem Mikrokredit. Deshalb werde es oftmals weniger nachhaltig investiert. Gleichwohl sieht er auch bei den Hilfsorganisationen einen Paradigmenwechsel: «Sie setzen häufiger auf Investments und verschenken seltener einfach Geld.»
Ein mongolischer Instrumentenbauer und BlueOrchard-Kunde mit seinen Kindern.
WAS SIE ANDERS MACHEN
BlueOrchard ist das erste Unternehmen im Bereich Mikrofinanz, das vor dem Hintergrund der UN-Millenniumskampagne auf Initiative des damaligen UNGeneralsekretärs Kofi Annan gegründet wurde – auf vollkommen privatwirtschaftlicher Basis. Nach wie vor arbeitet das Unternehmen eng mit weltweit agierenden Entwicklungsbanken zusammen, welche in der Anfangszeit die Mehrheit der Investments gestellt haben. Mittlerweile kommen 50 Prozent der Gelder von privaten Investoren. Neben Mikrokrediten finanziert BlueOrchard auch Investitionen in den Bereichen erneuerbare Energien, Klimaversicherungen und Ausbildungsfinanzierung – in allen Fällen geht es darum, Menschen zu ermöglichen, sich selbst zu helfen. Ein Beispiel für mögliche Synergien ist ein Mikrofinanz- Kunde, der für seine Garküche ein Solarpanel kauft und damit seinen Herd, sein Radio und seine Beleuchtung versorgt.
Die Kreditnehmer der lokalen Mikrofinanzinstitute sind in zwei Dritteln der Fälle Frauen. Sehr häufig leben sie in ländlichen Regionen und verwenden ihren Kredit für den Kauf von Nutztieren oder Saatgut. «Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Frauen nicht nur die bessere Rückzahlungsquote haben, sondern dass sie tendenziell auch unternehmerisch erfolgreicher sind», kommentiert Patrick Scheurle. «Zudem investieren sie vergleichsweise vorsichtiger und setzen ihre Gewinne eher für die Familie ein, z.B. für die Ausbildung der Kinder oder für Renovationen an Haus, Bauernhof oder Firmengebäude.» Und das habe dann wieder positive Folgewirkungen für die Gesellschaft.
Die Mikrofinanzinstitute in den Entwicklungsländern, welche BlueOrchard finanziert, sind rechtlich reguliert und werden sorgfältig ausgewählt: «Wir prüfen sie sehr genau, führen Interviews, schauen die Cashflows an und gehen mit zu den Endkunden», so Patrick Scheurle. Schliesslich verfügen die Mikrokreditgeber über grossen Einfluss vor Ort, das Leben von Menschen zum Guten oder Schlechten zu verändern. Korruption ist seiner Ansicht nach kein relevantes Problem, «weil die Mikrofinanzfirmen streng reguliert sind und die Mitarbeitenden auch relativ gut bezahlt werden. Solch einen Job setzt man nicht so leicht durch Fehlverhalten aufs Spiel.»
Die Mikrobanken berechnen ihren Kunden in der Regel Kreditzinsen, die inflationsbereinigt zwischen 10 und 20 Prozent pro Jahr liegen können. «Aus unserer Perspektive ist das hoch, in lokalen Verhältnissen aber extrem tief. Denn die Alternative sind Kredithaie, die 100 Prozent Zins verlangen», kommentiert Patrick Scheurle. Weil es um Kleinstbeträge geht, braucht das Kreditinstitut eine höhere Marge, damit sich der Aufwand lohnt, erläutert er weiter. Gleichwohl seien ihre Ausfallraten extrem tief und lägen im Bereich von 1 bis 3 Prozent. Wenn jemand Probleme bei der Rückzahlung habe, seien die Institute in der Regel kulant und erliessen die Zinsen oder vereinbarten lang gestaffelte Zahlungspläne. Zudem werde den Mikrounternehmern auch Unterstützung nichtfinanzieller Art angeboten.
Klassische Mikrofinanzländer mit etablierten Märkten sind Indien, Kambodscha, Peru oder Ecuador. Auch in China gebe es ein grosses Potenzial, doch die Rahmenbedingungen für ausländische Investments seien dort nicht ganz einfach. Ausserdem sei man dort weniger auf internationale Gelder angewiesen und könne diese auch inländisch mobilisieren, erklärt Patrick Scheurle. In gewissen Ländern wie Nordkorea investiert BlueOrchard nicht, es gibt auch inhaltliche Ausschlusskriterien wie den Anbau von Tabak oder Drogen. «Ansonsten wollen wir unseren Mikrokreditkunden möglichst viele unternehmerische Freiheiten geben.»
WARUM ES SICH LOHNT
BlueOrchard hat seit seiner Gründung bereits über 4 Milliarden US-Dollar in Entwicklungs- und Schwellenländern investiert und damit das Leben von über 30 Millionen Kleinunternehmern in mehr als 70 Ländern verändert. Im Juli 2017 teilt das Unternehmen mit, dass der BlueOrchard Microfinance Fund im ersten Halbjahr 2017 die Marke von 1 Milliarde Dollar Kundengeldern geknackt habe. «Die Menschen sind sehr dankbar für das Geld. Aber noch viel dankbarer sind sie für den Respekt, den sie erhalten.» Damit ist dieser Fonds nicht nur der älteste, sondern auch der grösste seiner Art. Die durchschnittliche Jahresrendite des Fonds liegt bei 4,3 Prozent. Im Gastbeitrag in der Oktober-Sonderbeilage von «Finanz und Wirtschaft» schreibt Patrick Scheurle, eine Mikrofinanz-Anlage sei ein attraktiver Baustein, um das Portfolio zu diversifizieren, denn sie entwickle sich weitgehend unabhängig von traditionellen Anlageklassen wie Aktien, Anleihen und Immobilien. Als Teil von Impact Investing treffe die Mikrofinanz den Nerv der Zeit und bediene die steigende gesellschaftliche Nachfrage nach Investitionsmöglichkeiten, die ausser dem finanziellen auch einen messbaren sozialen und ökologischen Nutzen generierten.
Stellvertretend für seine 30 Millionen Kreditempfänger nennt Patrick Scheurle die philippinische Unternehmerin Jennifer Dalida: Dank Mikrokrediten von BlueOrchard hat sie eine Firma für Kinderschuhe aufgebaut, beschäftigt mittlerweile fünf Angestellte und produziert 240 Exemplare pro Tag. Die Schuhe sind auf allen Märkten in ihrem Quartier erhältlich. So kann die Unternehmerin nicht nur ihre Familie versorgen, sondern auch für ihre alternden Eltern aufkommen und ihre drei Kinder zur Schule schicken. Ihr Traum ist es, die Schuhe in Shoppingcentern zu verkaufen – und ihren Kindern ein Universitätsstudium zu ermöglichen.
Die initiative philippinische Unternehmerin ist ein Beispiel für den wohl wichtigsten Effekt der Mikrokredite. Dieser lässt sich kaum messen, sondern nur persönlich erfahren, berichtet Patrick Scheurle: «Die Menschen sind sehr dankbar für das Geld. Aber noch viel dankbarer sind sie für den Respekt, den sie erhalten, dass sie auf Augenhöhe behandelt, ernst genommen werden und die Chance erhalten, sich zu beweisen.»
Bernhard Ruetz: Ethisch. Nachhaltig. Erfolgreich.
Zehn Schweizer Unternehmen und ihre Geschichten
Verlag Ars Biographica, Humlikon 2018.
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