Ernst A. Brugger

Ernst A. Brugger
Der Wirtschaftsgeograf und Unternehmer beschäftigt sich seit mehr als 25 Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit.

«Nachhaltige Unternehmen sind erfolgreicher»

Der Wirtschaftsgeograf und Unternehmer Prof. Dr. Ernst A. Brugger gehört zu den Pionieren des Nachhaltigkeitsgedankens und ­beschäftigt sich seit mehr als 25 Jahren mit dem Thema: als ­VR-Präsident der Unternehmensberatung BHP – Brugger und Partner AG, als Titularprofessor an der Universität Zürich, in zahlreichen ­internationalen Projekten und im Verwaltungsrat diverser Schweizer Unternehmungen.

Herr Brugger, was bedeutet der Begriff der Nachhaltigkeit?
Wer nachhaltig handelt, geht mit den natürlichen, menschlichen und finanziellen Ressourcen so effizient und so schonend um wie irgend möglich. Das führt meist zu Innovationen, welche die Ressourceneffizienz steigern und Produkte attraktiver gestalten. Der Mobilitätssektor ist dafür ein gutes Beispiel: Die wettbewerbsfähigsten Unternehmen sind heute diejenigen mit den effizientesten Antriebssystemen. Sie sind im Energie- und Materialbereich die Innovativsten, sie kombinieren beispielsweise alter­native Antriebssysteme mit hohem Fahrkomfort und Hightech-Informationssystemen. Zukunftsweisend sind zudem neue Nutzungsmodelle, insbesondere Carsharing in Kombination mit dem öffentlichen Verkehr.
Für die menschlichen Ressourcen, also die Arbeitskräfte, kann man prinzipiell das Gleiche sagen: Nachhaltige Unternehmen sind geprägt durch eine sehr moderne Arbeitnehmerpolitik, die fair ist, Weiterbildung fördert und so die Chancenvielfalt erhöht. Solche Unternehmen sind erfolgreicher dank Mitarbeitenden, die wesentlich motivierter sind, an eine gemeinsame Wirkung glauben und so die Produktivität und Innovationskraft massiv erhöhen. Das dritte Element: Wie verhält sich das Unternehmen bezüglich seiner gesetzlichen Verpflichtungen? Sträubt man sich so lange wie möglich, oder beschäftigt man sich aktiv mit Umweltpolitik, Sozialpolitik, Fiskalpolitik und versucht, die wesentlichen Rahmenbedingungen im Sinne der Nachhaltigkeit zu beeinflussen? Ein nachhaltiges Unternehmen ist sozial, ökologisch und auch institutionell klar zukunftsorientiert. Das kann unter anderem bedeuten, Risiken zu antizipieren, wie das Beispiel Swiss Re zeigt: Rund um den Nordpol wird aktuell nach Erdöl gesucht, das sogenannte Arctic Drilling. Swiss Re hat beschlossen, für dieses Geschäft mit grossen Umweltrisiken keine Rückversicherungen anzubieten – obwohl es kurzfristig hochprofitabel wäre.
Kurzum: Nachhaltige Unternehmen sind wettbewerbsfähiger, weil sie qualitativ, in ihrer Effizienz, in ihrer Innovationskraft und in ihrer Glaubwürdigkeit besser sind. Deshalb ist Nachhaltigkeit eine Triebfeder für langfristigen unternehmerischen Erfolg. Das gilt für Kleinunternehmen, für mittlere und für grosse. Man könnte es allenfalls sogar auf die Politik übertragen: Weltweit betrachtet, gibt es eine klare Korrelation zwischen wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften und ihrer Nachhaltigkeit. Man kann allerdings je nach Fall darüber diskutieren, in welche Richtung die Kausalität verläuft.

Woher stammt der Begriff?
Der Begriff der Nachhaltigkeit ist in den 1970er-Jahren zum ersten Mal populär geworden. Und wirklich pointiert kommuniziert worden ist er dann 1992 mit der UNO-Konferenz in Rio de Janeiro zum Thema Umwelt und Entwicklung. Aber natürlich gab es schon früher eine Nachhaltigkeitsdebatte. In der Schweiz etwa hat man bereits 1876 ein Forstgesetz lanciert, das streng der Nachhaltigkeit verpflichtet war und den Wald rigoros schützte. Für jeden Baum, der gefällt wurde, musste fortan ein neuer gepflanzt werden, und zwar an einem ähnlichen Ort. Damit hat man auf die negativen Folgen einer übertriebenen Ab­holzung reagiert, wie grössere Erdrutsche und Überschwemmungen - im Nachgang von rascher Industrialisierung und Eisenbahnentwicklung. Das Gesetz hat so stark gewirkt, dass es 1991 revidiert werden musste – der Wald war mittlerweile wegen Unternutzung überaltert.

«Ich glaube, dass Nachhaltigkeit bereits ab der Unternehmens­gründung möglich ist.»

Wie sind Sie dazu gekommen, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit zu beschäftigen?
Bei mir gibt es zwei Quellen, eine wissenschaftliche und eine praktische. Wissenschaftlich habe ich mich mit Erfolgsfaktoren für Gesellschaften beschäftigt und festgestellt: Wenn eine Gesellschaft fähig ist, die wirtschaftliche Dimension mit einer starken gesellschaftlichen Beteiligung der Menschen und mit einer schonenden – und effizienten – Nutzung von natürlichen Ressourcen zu kombinieren, kommt es zu einer längerfristigen positiven Entwicklung. Und wenn eine Gesellschaft das nicht schafft, wird sie nicht dauerhaft erfolgreich sein können. Ich habe festgestellt, dass Länder mit einem Überschuss an natürlichen Ressourcen in der Regel liederlich damit umgehen und sich später oft zu Krisenländern entwickeln. Venezuela ist ein prägnantes Beispiel dafür. Dieses Land besitzt einen Naturreichtum, wie er nur selten vorkommt, mit Erdöl, Mineralien, reichen Fischgründen und fruchtbaren Böden. Trotzdem ist es seit Jahren und besonders heute ein Land in tiefer Krise. Die Ziele sind zwar hehr, aber die Politik ist leer und korrupt. Es fehlt die Transparenz, es gibt keine verlässlichen Spielregeln, selbst gute Gesetze werden nicht eingehalten. Leider ist Venezuela nicht der einzige Fall. Wirtschaftshistorisch ist gut belegt, dass dauerhaft nachhaltige Entwicklung nur durch Schaffung und Durchsetzung verlässlicher Rahmenbedingungen möglich ist. Und meine praktische Quelle: Ich habe Gelegenheit gehabt, während rund zehn Jahren mit Stephan Schmidheiny eine Unternehmensstruktur in Südamerika mitzubegleiten. Man hat dort Produktionsanlagen für Asbestzementplatten auf eine neue ökologisch-soziale Produktpalette umstellen müssen. Ein tiefgreifender Innovationsprozess – von der Technologie übers Marketing bis zur Organisation – und eine grosse Herausforderung, die nur dank starkem Engagement des Eigentümers zum Ziel führte. Gleichzeitig haben wir gemeinsam mit lokalen Unternehmern eine private Initiative für die Förderung von Gewerbe- und Kleinunternehmen gestartet, die ich während zehn Jahren führen durfte. Fundes erzeugt weiterhin nachhaltige Impulse für unternehmerische Eigenständigkeit – eine eminent wichtige Triebfeder von Nachhaltigkeit. Ich hatte anschliessend die Chance, das erworbene Know-how mit BlueOrchard im Bereich der Mikrofinanz weiterzuentwickeln und umzusetzen. Heute ist diese Unternehmung eine der weltweit führenden privatwirtschaftlichen Impact-Finanzierungsinstitutionen mit über 30 Millionen Kleinstkunden in fast allen Entwicklungsregionen der Welt. Es ist uns gelungen, attraktive Produkte für private und institutionelle Anleger im Kapitalmarkt zu platzieren – denn nur so kann eine starke, nachhaltige Wirkung erzeugt werden. Übrigens kann man Nachhaltigkeit auch messen: Das «Sustainability Impact Measurement Reporting» ist anspruchsvoll, macht aber methodisch rasche Fortschritte. Wer die Wirkung von nachhaltigem Handeln korrekt und selbstkritisch misst, gewinnt an Glaubwürdigkeit nach innen und nach aussen. Ausserdem lernt man beim Messen vieles und kann sich so laufend verbessern.   

Wo sehen Sie den Zusammenhang zwischen Ethik und Nachhaltigkeit?
Wer nicht nachhaltig arbeitet, läuft Gefahr, ethische Grundwerte zu gefährden. Nachhaltigkeit hat viel mit Ethik zu tun, aber sie ist weit mehr als das. Nur wenn man Investoren gegenüber belegen kann, dass Nachhaltigkeit auch zu mehr Erfolg führt, überlebt Nachhaltigkeit im Unternehmen. Nur dann wird sie im Management, bei den Mitarbeitenden, Kunden und Partnern ernst genommen. Sonst ist es lediglich eine Sonntagspredigt oder das Vorwort im Jahresbericht. In der Praxis gibt es unzählige Beispiele, dass nachhaltige Unternehmen wettbewerbsfähiger sind. Sie haben den besseren Ruf. Sie bekommen die besseren Aktionäre, sie haben bessere, motiviertere Mitarbeiter und Kaderleute. Sie schaffen eine zusätzliche Wertschöpfung und Wertschätzung. Allerdings sind sie immer noch in einer Minderheit. Grund ist, dass viele Unternehmen nach wie vor zu kurzfristig denken und handeln. Das Management ist allgemein eher am kurzfristigen als am langfristigen Resultat beteiligt. Viele Investoren insbesondere an den Börsen schauen auf kurzfristige Ergebnisse. Vor allem die institu­tionellen Anleger, wie z.B. führende Pensionskassen, bilden hier – wenn auch nur langsam – ein Gegengewicht mit einer längerfristigen und nachhaltiger ausgerichteten Anlagepolitik. Und deshalb, so meine Überzeugung, braucht es langfristig ausgerichtete Leadership und auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, welche Nachhaltigkeit unterstützen. In der Schweiz sind wir im internationalen Vergleich ziemlich weit voraus, sowohl beim Sozialversicherungssystem als auch bei den Umweltgesetzen und dem Risk Management. Deshalb ziehen wir auch viele kluge und innovative Köpfe aus aller Welt an.

Sind inhabergeführte Unternehmen und Genossenschaften – mit ihrem vergleichsweise längeren Zeithorizont – per se nachhaltiger als Aktiengesellschaften?
Es ist für inhabergeführte Unternehmen und Genossenschaften sicherlich einfacher, eine nachhaltige Strategie konsequent und langfristig zu verfolgen als für Aktienunternehmen, die ja nicht nur auf Aktionäre und Analysten mit meist kurzfristigen Erwartungen Rücksicht nehmen müssen, sondern auch stets der Gefahr einer Übernahme ausgesetzt sind. Vermutlich ist es der kürzere Zeithorizont der angestellten Manager, der einer auf Langfristigkeit angelegten Strategie zuweilen im Wege steht. Hier sehe ich die Verwaltungsräte in der Pflicht, klare Zielvorgaben zu definieren und die Boni für die Führung daran zu binden – ein wegweisendes Beispiel ist hier Unilever mit dem CEO Paul Polman, dessen Bonus zum Teil von der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele abhängt. 

«Nachhaltige Unternehmen sind wettbewerbsfähiger, weil sie qualitativ, in ihrer Effizienz, in ihrer Innovationskraft und in ihrer Glaubwürdigkeit besser sind.»

Kann jedes Unternehmen nachhaltig handeln – oder muss man sich Nachhaltigkeit leisten können?
Ich glaube, dass Nachhaltigkeit bereits ab der Unternehmensgründung möglich ist. Schon ein Neugründer tut gut daran, kostenbewusst zu handeln und keine Ressourcen zu verschwenden – weder Material noch natürliche Ressourcen noch Arbeitszeit. Im KMU-Bereich kann Nachhaltigkeit auch bedeuten, langfristige und vertrauensvolle Beziehungen zu den Geschäftspartnern dank Nachhaltigkeitsthemen zu vertiefen. Das hat viel mit Qualität und Verlässlichkeit zu tun, es erhöht die Überlebenschance eines jungen Betriebes ungemein.Voraussetzung ist allerdings immer, dass Nachhaltigkeit nicht einfach einer Stabsstelle überlassen, sondern vom Topmanagement gewollt und mit persönlichem Engagement vorangetrieben wird. Denn wie erwähnt hat Nachhaltigkeit zutiefst mit Werten zu tun, die in der operativen Arbeit und im Marketing zu mehr Erfolg und Reputation für das Unternehmen führen. Dies kann nur glaubwürdig vermittelt werden, wenn die Unternehmensführung voll dafür einsteht.

Als Inhaber der Finca La Amistad in Costa Rica engagieren Sie sich selbst für nach­haltigen Kakaoanbau. Wie setzen Sie dort die Theorie der Nachhaltigkeit konkret um? Kommt es manchmal auch zu Zielkonflikten?
Auf der Finca La Amistad bauen wir Kakao nach umfassenden Nachhaltigkeitskriterien an. Wir gehen dabei verantwortungsvoll mit natürlichen Ressourcen um, setzen auf beste Qualität der Produkte und sorgen für faire Arbeitsbedingungen. Die Farm ist eingebettet in eine von uns geschützte Biodiversitätszone, die an einen der schönsten Nationalpärke des Landes anschliesst. Wichtig ist uns ausserdem eine langjährige Partnerschaft mit unseren Kunden auf Basis gegenseitigen Vertrauens. Konsequenz dieser Politik ist ein langsamer Aufbau mit höheren Anfangskosten. Als Folge erreichen wir eine Rentabilität, die zwar nicht maximiert, dafür aber nach­haltig ist. Wir setzen sie für den weiteren Ausbau ein.

Bernhard Ruetz: Ethisch. Nachhaltig. Erfolgreich. 
Zehn Schweizer Unternehmen und ihre Geschichten
Verlag Ars Biographica, Humlikon 2018. 
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